Am Donnerstag, den 21. September stellte die DGI in einer Online-Pressekonferenz zwei neue Leitlinien vor. Die S3-Leitlinie Implantologische 3-D-Röntgendiagnostik und navigationsgestützte Implantologie formuliert in fünf Empfehlungen, wann eine 3-D-Diagnostik empfohlen wird und was dabei beachtet werden sollte. Hinzu kommt eine weitere Empfehlung zur navigationsgestützten Implantattherapie. Die S3-Leitlinie zum Einsatz von Platelet-Rich-Fibrin (PRF) in der dentalen Implantologie ist die weltweit erste auf diesem Gebiet.
Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang als Koordinator und Dr. Dr. Burkhard Kunzendorf als federführender Autor stellten die Leitlinie zur 3-D-Röntgendiagnostik näher vor. Vor einer Implantation ist eine radiologische Untersuchung der umgebenden Knochengewebe erforderlich. In fünf Empfehlungen haben Fachleute von 17 Fachgesellschaften und Organisationen unter Federführung der DGI und der DGZMK in einer S3-Leitlinie formuliert, wann eine 3-D-Diagnostik empfohlen wird und was dabei beachtet werden sollte. Hinzu kommt eine weitere Empfehlung zur navigationsgestützten Implantattherapie.
Sieben Indikationen für 3-D-Diagnostik
Jede Röntgenaufnahme erfordert eine „rechtfertigende Indikation”, die von Ärzten oder Zahnärzten mit der dafür erforderlichen Fachkunde gestellt werden muss. Eine solche ist stets vor einer Implantatinsertion erforderlich, um Menge und Qualität des Knochengewebes sowie die angrenzen anatomischen Strukturen beurteilen zu können. „In vielen Fällen ist hierzu eine zweidimensionale Röntgendiagnostik mit Referenzkörpern indiziert und ausreichend“, schreiben die Fachleute zur neuen S3-Leitlinie.
Insgesamt sieben Indikationen wurden aufgelistet, bei denen eine 3-D-Röntgendiagnostik hilfreich sein kann, zum Beispiel deutliche anatomische Abweichungen, pathologische Veränderungen oder eine unsichere Darstellung von Nachbarstrukturen. Auch spezielle Therapiekonzepte können eine Untersuchung mit der Digitalen Volumentomographie (DVT) nötig machen, die in der Zahnmedizin überwiegend eingesetzt wird.
Starke Empfehlung zur Strahlenbelastung
In der ersten Empfehlung der Leitlinie steht die Notwendigkeit einer ausreichenden radiologischen Diagnostik des Implantatbetts vor einer Implantatinsertion. Lassen sich notwendige Informationen für Diagnostik, Therapieentscheidung und die Durchführung der Behandlung mit einer zweidimensionalen Untersuchung nicht gewinnen, sollte die 3D-Diagnostik erfolgen. Wird eine Therapie computergestützt geplant (Empfehlung drei), sollte in der Regel eine DVT erfolgen.
In Leitlinien der höchsten Stufe (S3) können die Empfehlungen unterschiedliche Empfehlungsgrade haben, abhängig etwa von einer Nutzen-Schaden-Abwägung und der wissenschaftlichen Evidenz. Eine starke Empfehlung haben die Fachleute zum Thema Strahlenbelastung formuliert: „Für die dreidimensionale Röntgenbildgebung soll das der Indikation entsprechende Verfahren mit der geringsten Strahlenbelastung gewählt werden. Bei der Einstellung des DVT soll das, entsprechend der Fragestellung, kleinstmögliche Field of View (FoV) (Aufnahmevolumen) verwendet und eine adäquate Ortsauflösung gewählt werden, die zu einer möglichst geringen Strahlenexposition führen.“
Genauigkeit und Grenzen der DVT
Zwei Empfehlungen gibt es zu den Grenzen der DVT: Die Diagnostik der periimplantären Umgebung im DVT ist zwar möglich, erklären die Fachleute, im unmittelbaren Nahbereich sei diese jedoch nur eingeschränkt beurteilbar. Daher empfehlen die Autoren die Kontrolle des periimplantären Knochens zunächst durch eine zweidimensionale Bildgebung. In Empfehlung Nr. 5 geht es um die Beachtung möglicher Messungenauigkeiten der DVT bei der Implantatinsertion. Zu wichtigen anatomischen Strukturen wie dem Nervus alveolaris inferior und dem Foramen mentale sollte stets ein Sicherheitsabstand von zwei Millimeter eingehalten werden.
Navigation in der Implantologie
Die Implantatinsertion lässt sich mit speziellen Computerprogrammen auf Basis dreidimensionaler Bilddaten präoperativ virtuell planen. Aus Implantatdatenbanken können beispielsweise Implantate verschiedener Hersteller ausgewählt und virtuell am Computer positioniert werden. Neue Software-Tools mit optimierten Ansichten des Implantatlagers verbessern die virtuelle Planung der Behandlung zusätzlich. Dafür werden Daten von Laser-Scannern mit Hilfe von Referenzmarkern mit den Daten der 3D-DVT übereinandergelegt. So erfolgt auch die Zahnaufstellung virtuell.
Umgesetzt werden kann diese Planung mittels direkter Instrumentennavigation oder mit Hilfe von Bohrschablonen. Studien zeigen, dass Implantate bei einer navigationsgestützten Implantation exakter positioniert werden als bei der „Freihand”-Positionierung. Dies hat jedoch keinen Effekt auf das Überleben der Implantate. Lediglich der postoperative Schmerz ist geringer.
Indikationen für die Navigation
Laut Empfehlung der Fachleute kann die navigationsgestützte Implantologie eingesetzt werden bei:
- minimalinvasiven Techniken der Implantatinsertion vor allem bei Patienten mit besonderen Risiken (zum Beispiel erhöhte Blutungsneigung)
- bei Zuständen nach komplexer Kieferrekonstruktion
- bei der Umsetzung einer schwierigen prothetischen Zielsetzung und
- bei besonderen Konzepten (zum Beispiel bei der Sofortversorgung mit präfabriziertem Zahnersatz)
Die Autoren der Leitlinie sprechen auch deutliche Warnungen aus. Diesen zufolge ist die Anwendung der navigationsgestützten Implantologie an Erfahrungen sowohl im Bereich der 3D-Diagnostik als auch der Anwendung von navigationsgestützten Verfahren gebunden. „Fehler und Ungenauigkeiten sind an jeder Stelle in der Prozesskette möglich.“ Diese können zu gravierenden Abweichungen von der angestrebten Implantatposition führen. Wer operiert, benötigt spezielle Erfahrungen im Bereich der nicht navigationsgestützten Implantologie. Eine weitere Anforderung ist die Einhaltung chirurgischer Standardprotokolle. Die sichere reproduzierbare Positionierung der Röntgen- und Führungsschablone ist eine Grundvoraussetzung. „Die Planung der navigationsgestützten Implantologie ist eine zahnärztliche Aufgabe”, betonen die Fachleute, und solle vom Operateur zumindest überprüft werden. Bei diesem liegt auch die Verantwortung für den Gesamtprozess.
Die erste Leitlinie zu PRF weltweit kommt nun aus Deutschland
Im Anschluss stellte Prof. Dr. Dr. Shahram Ghanaati in einer Zuschaltung aus Boston die weltweit erste S3-Leitlinie zum Einsatz von Platelet-Rich-Fibrin (PRF) in der dentalen Implantologie vor. PRF ist eine Matrix des Blutgerinnungsfaktors Fibrin, die durch Zentrifugieren bei einer bestimmten Umdrehungszahl aus Blut gewonnen werden kann. Die Matrix enthält Thrombozyten, Leukozyten sowie Wachstumsfaktoren. PRF kann in fester und flüssiger Form die Wundheilung unterstützen. Aktuell wird es in der zahnärztlichen Praxis als solide PRF-Plug-Matrix nach Extraktionen zum Auffüllen der Alveole eingesetzt. Alternativ kann auch eine flüssige PRF-Matrix mit ähnlichen biologischen Eigenschaften hergestellt werden.
Obwohl PRF schon seit Jahren in der (Zahn-)medizin eingesetzt wird und seine Bedeutung in der dentalen Implantologie in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich größer wurde, sind systematische Untersuchungen zu seiner Wirksamkeit in der Geweberegeneration Mangelware. Vorliegende Übersichtsarbeiten erschweren konkrete und zielorientierte Schlussfolgerungen. Die nun vorliegende Leitlinie der DGI soll Zahnärztinnen und Zahnärzten als Entscheidungshilfe dienen, wie PRF im Rahmen der dentalen Implantologie eingesetzt werden kann. Es gilt, Vor- und Nachteile sowie Risiken der Therapie einzuschätzen und Patientinnen und Patienten über Behandlungsalternativen im Rahmen eines informierten Konsenses zu informieren.
Sieben Indikationen auf dem Prüfstand
Bei der Entwicklung der Leitlinie wurde die Wirksamkeit von PRF in insgesamt sieben Indikationen überprüft: Bei der Socket/ Ridge Preservation, der Sinusboden-Elevation, der lateralen, der vertikalen und der dreidimensionalen Augmentation, bei periimplantären Erkrankungen und bei der Sofortimplantation. Ebenfalls analysierten die Fachleute die Datenlage zur Auswirkung der PRF-Therapie auf das Schmerzempfinden der Patienten.
Die Fachleute achteten bei der Auswertung der Fachliteratur darauf, dass die PRF-Therapie jeweils mit einer „vernünftigen Kontrollgruppe” verglichen worden war. Da das Konzentrat aus dem Blut des Patienten gewonnen wird, kann es durch patientenbezogene Parameter wie Alter oder Gesundheitszustand beeinflusst werden. Aus diesen Gründen wurde bei dieser Leitlinie die spontane Wundheilung als Kontrollgruppe bei der Verwendung von PRF als alleiniger Therapie berücksichtigt. Kam PRF in Kombination mit Knochenersatz-materialien oder Membranen zum Einsatz, galt als akzeptable Kontrollgruppe die Behandlung mit diesen Materialien ohne PRF. „Durch dieses Vorgehen kann die klinische Wirksamkeit von PRF unter Minimierung weiterer Störfaktoren untersucht werden”, betonen die Fachleute.
Zwei Empfehlungen und sechs Statements
Der Alveolenverschluss durch die Regeneration und Epithelialisierung des Weichgewebes ist neben der Knochenregeneration für den Therapieerfolg bei einer Implantation entscheidend wichtig. Die vorliegenden Studien haben Schwächen, etwa die fehlende Verblindung der Untersucher, die das „Bias Risiko” erhöhen. Ebenso fehlt der Vergleich zwischen der PRF-Therapie und weiteren mittlerweile etablierten Behandlungskonzepten. „Dennoch kann unter Berücksichtigung dieser Limitationen der vorliegenden Literatur die Überlegenheit der PRF-Behandlung in der Verbesserung der Alveolenheilung gegenüber der spontanen Wundheilung belegt werden”, schreiben die Autoren. Mit starkem Konsens wurde eine offene Empfehlung beschlossen. Offen bedeutet eine Kann-Formulierung: ein Verfahren oder eine Therapiemaßnahme kann erwogen oder einem Patienten empfohlen werden. Möglich ist aber auch der Verzicht darauf.
Zu einem identischen Urteil kamen die Fachleute auch bei der Empfehlung zum Thema Socket/Ridge Preservation zum Volumenerhalt des Kieferkamms. Auch hier lautet die evidenzbasierte Empfehlung, dass die alleinige Anwendung von solider PRF-Plug-Matrix zum Auffüllen der Alveole zum Volumenerhalt beitragen und darum als alternative Therapieoption erwogen und empfohlen werden kann.
Aufgrund der derzeitigen Datenlage zu den verbliebenen sechs Indikationen sowie im Hinblick auf die Minderung des Schmerzempfindens durch die Anwendung einer soliden PRF-Plug-Matrix zum Auffüllen der Alveole konnten die Fachleute keine Empfehlung bezüglich der Therapie aussprechen.
Forschungsfragen
Entsprechend haben die Fachleute ihre Forschungsfragen formuliert, auf die in der Zukunft Antworten auf Basis neuer Untersuchungen gefunden werden müssen:
- Wie ist die klinische Wirksamkeit von PRF bei der Sinusboden-Elevation?
- Wie ist die klinische Wirksamkeit von PRF bei der dreidimensionalen Augmentation?
- Kann die Osseointegration von sofortinserierten Implantaten durch PRF verbessert oder beschleunigt werden?
- Wie ist die klinische Wirksamkeit von PRF bei der Behandlung periimplantärer Erkrankungen?
- Bei welchen Indikationen kann die Verwendung von PRF in Kombination mit Biomaterialien von Vorteil sein?
Prof. Ghanaati wie auch Dr. Dr. Anette Strunz von der DGI bedauerten ein wenig, dass nicht so viel in der Leitlinie bestätigt und empfohlen werden konnte, wie sich beim Einsatz von PRF in der eigenen implantologischen Praxis zeigt, aber Prof. Ghanaati ist sich sicher, dass diese erste Leitlinie ein guter Anfang zur Etablierung von PRF in der Implantologie ist: „Es wird positiv weitergehen!“