Die Abhängigkeit von Schmerzmitteln steht inzwischen auf Platz zwei hinter der Tabakabhängigkeit, wenn es um den Suchtmittelkonsum und die Verbreitung des schädlichen Gebrauchs und der Abhängigkeit von legalen und illegalen Drogen wie Tabak, Alkohol, Cannabis, Kokain oder anderen Drogen geht. Das geht aus dem Epidemiologischen Sucht-Survey (ESA) hervor, der jetzt im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde.
Für den Survey wurden mehr als 9.000 Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren befragt und ihr Substanzkonsum in den letzten zwölf Monaten sowie das Vorliegen eines schädlichen Gebrauchs oder einer Abhängigkeit erhoben. Danach sind rund 14,4 Millionen Menschen in Deutschland aktuelle Raucher, bei rund 1,6 Millionen Menschen ist von einer Analgetikaabhängigkeit auszugehen. In der Studie zeigte sich bei ca. 3,1 Prozent der Befragten eine Alkoholabhängigkeit, was 1,6 Millionen Personen in der Bevölkerung entspricht.
Große Bedeutung der Medikamentenabhängigkeit
„Fast 9 Prozent aller Befragten hatten eine Tabakabhängigkeit, gefolgt von Personen mit einer Abhängigkeit von Schmerzmitteln (3,2 Prozent) und von Alkohol (3,1 Prozent). Schädlicher Gebrauch fand sich mit 7,6 Prozent am häufigsten bei Schmerzmittelgebrauch, noch vor dem Gebrauch von Alkohol (2,8 Prozent). Diese Zahlen verweisen auf die große Bedeutung der Abhängigkeit von Medikamenten, insbesondere von Schmerzmitteln. Dieses Problem ist vordringlich durch nichtopiathaltige Analgetika bedingt. So können beispielsweise bei chronischen Kopfschmerzen Symptome einer Abhängigkeit von Paracetamol, Koffein und Ergotamin auftreten. Bisher gibt es kaum Untersuchungen zu den Risikofaktoren für die Entwicklung einer derartigen Medikamentenabhängigkeit und zu den hier relevanten neurobiologischen Mechanismen. Diese Forschungslücke sollte dringend geschlossen werden, zumal Medikamente in solchen Fällen auch ärztlich verschrieben werden“, schreiben Andreas Heinz und Shuyan Liu in ihrem Editorial „Suchterkrankungen in Deutschland“ im Deutschen Ärzteblatt (Heinz A, Liu S: Addiction to legal drugs and medicines in Germany. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 575–6. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0575).
Tabak- und Alkoholkonsum rückläufig
Der Tabak- und Alkoholkonsum ist in Deutschland rückläufig, auch wenn Deutschland beim Alkohol immer noch zu den Hochkonsumländern zählt, so die Ergebnisse des ESA. In einer weiteren Analyse der aus den Daten erkennbaren Trends im selben Heft (Seitz NN, Lochbühler K, Atzendorf J, Rauschert C, Pfeiffer-Gerschel T, Kraus L: Trends in substance use and related disorders—analysis of the Epidemiological Survey of Substance Abuse 1995 to 2018. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 585–91. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0585) sehen die Autoren zwar keine Zunahme bei der Abhängigkeit von Analgetika über die Zeit, allerdings sei die Zunahme des Gebrauchs von Analgetika kritisch zu hinterfragen.
Großteil der Abhängigkeit durch nichtopioidhaltige Analgetika
Dies wird auch von den Autoren des Surveys selbst so gesehen (Atzendorf J, Rauschert C, Seitz NN, Lochbühler K, Kraus L: The use of alcohol, tobacco, illegal drugs and medicines—an estimate of consumption and substance-related disorders in Germany. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 577–84. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0577). Sie schreiben in ihrer Diskussion der erhobenen Daten: „Bei hochgerechnet etwa 1,6 Millionen der 18- bis 64-Jährigen ist von einer Analgetikaabhängigkeit auszugehen. Analysen mit den ESA-Daten aus dem Jahr 2015, in der zwischen opioidhaltigen und nichtopioidhaltigen Analgetika unterschieden wurde, schätzten die Prävalenz einer Gebrauchsstörung durch Opioidanalgetika nach DSM-V auf 1 Prozent und den Anteil an allen durch Analgetika verursachten psychischen Störungen auf 12 Prozent. Gemäß den vorliegenden Ergebnissen ist der Großteil der Abhängigkeitserkrankungen durch Analgetika demnach auf nichtopioidhaltige Analgetika zurückzuführen, die entweder über Privatrezepte oder als apothekenpflichtige Medikamente erworben wurden. Dieser Anteil lässt sich mit der hohen Gebrauchsprävalenz in Verbindung mit dem psychischen Abhängigkeitspotenzial nichtopioidhaltiger Schmerzmittel erklären. Der Umfang der Einnahmeprävalenz von Hypnotika/Sedativa (30 Tage) ist in der Bevölkerung deutlich geringer als der von Analgetika, was sich auch in der niedrigeren Prävalenz von Abhängigkeitsstörungen widerspiegelt.“
In der Befragung hatten mehr als 2.900 Teilnehmer für die letzten 30 Tage den Gebrauch nicht vom Arzt verordneter Analgetika bejaht, davon 1.884 Frauen. 1.441 Befragte nahmen vom Arzt verordnete Analgetika ein, auch hier mehr Frauen (906) als Männer. Die Zahlen wurden im Survey entsprechend auf die Bevölkerung hochgerechnet.