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Die wichtigsten Kriterien für die Wahl des Lappendesigns und Entscheidungshilfen für die Praxis

Die meisten Parodontitisfälle können mittels alleiniger antiinfektiöser Therapie erfolgreich behandelt werden. Hingegen spielen bei fortgeschrittenen Parodontalerkrankungen korrektive chirurgische Maßnahmen eine bedeutende Rolle. Dabei sollte die Wahl des geeigneten Verfahrens stets unter Berücksichtigung der Einzelzahnprognosen und der prothetisch-implantologischen Planung erfolgen. Grundsätzlich können reparative, regenerative und resektive parodontalchirurgische Techniken unter­schieden werden. Während resektive Maßnahmen bei supraalveolären und flachen infraalveolären Defekten im ästhetisch nicht kritischen Bereich indiziert sind, erlauben tiefe infraalveoläre Defekte einen regenerativen Ansatz unter Nutzung von unterschiedlichen papillenerhaltenden und minimal­invasiven Lappendesigns. Klassische reparative Verfahren zur Taschenreduktion spielen aus heutiger Sicht eine untergeordnete Rolle. Eine Restindikation liegt allerdings für supraalveoläre Taschen im Seitenzahnbereich mit einem Mindestanteil an keratinisierter Gingiva vor. Bei interradikulären Defekten bestimmen der Grad und die Lage der Furkation die therapeutische Tendenz. Im Beitrag von Prof. Dr. Jamal Stein für die Quintessenz Zahnmedizin 10/19 werden die wichtigsten Kriterien für die Wahl des Lappendesigns erläutert und Entscheidungshilfen für die Praxis angeboten.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Die antiinfektiöse Therapie ist eine entscheidende und für den weiteren Verlauf wegweisende Phase in der systematischen Behandlung der Parodontitis1. Stetige Weiterentwicklungen der Möglichkeiten zur mechanischen Biofilmentfernung, beispielsweise mittels filigraner Ultraschallansätze und/oder Pulver-Wasser-Strahlgeräten16 in Kombination mit adjuvanten lokalen20 oder systemischen antimikrobiellen Maßnahmen14, sind nur einige Gründe dafür. Die Mehrzahl der Patienten mit entzündlichen Parodonto­pathien können mit diesen Maßnahmen erfolgreich behandelt werden. Dabei kann jedoch „Erfolg“ unter­schiedlich interpretiert werden. Diese Unterschiede be­ziehen sich im Wesentlichen auf die Überlegung, ob neben der Reduktion von Sondierungsblutungen das Fehlen von Sondierungstiefen ≥ 4 oder ≥ 5 mm als ak­zeptables Behandlungsziel angesehen werden kann28. Weitgehende Einigkeit besteht hingegen darin, dass Resttaschen mit Sondierungstiefen von ≥ 6 mm mit einem erhöhten Risiko für weiteren Attachment- und Zahnverlust assoziiert und daher Anzeichen für eine unvollständige Behandlung der Parodontitis sind5,21. In diesen Fällen sollte eine Überprüfung der Prognose der betroffenen Zähne erfolgen und bei deren Erhaltungswürdigkeit eine korrektive chirurgische Therapie in Betracht gezogen werden. Die Wahl der chirurgi­schen Technik hängt hierbei allerdings von verschiedenen Patienten- und Defektfaktoren ab. Im Folgenden sollen die wichtigsten Verfahren der chirurgischen Parodontitistherapie vorgestellt und Entscheidungshilfen zur Auswahl der geeigneten Technik aufgezeigt werden.

Neue Klassifikation, neue Leitlinie, neue PAR-Richtlinie

Seit 2018 gibt es eine neue Klassifikation der parodontalen Erkrankungen, seit 2019 eine neue internationale Leitlinie zur Diagnostik und Therapie, die von der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie auf die Situation in Deutschland angepasst und 2020 in eine S3-Leitlinie zur Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III überführt wurde. Die neue Klassifikation und die Leitlinie sind auch Grundlage für die neue Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderen Parodontalerkrankungen (PAR-Richtlinie) in der Gesetzlichen Krankenversicherung, die zum 1. Juli 2021 in Kraft getreten ist.

Alle Informationen zur Klassifikation, zur neuen S3-Leitlinie und zur PAR-Richtlinie hat die DG Paro auf ihrer Internetseite und einer gesonderten Seite zur PAR-Richtlinie zusammengestellt. Dort finden sich auch Fallbeispiele zur Klassifikation in Staging und Grading. Weitergehende Informationen und praxisnahe Fachbeiträge zur modernen Parodontalbehandlung gibt es zudem in der Fachzeitschrift „Parodontologie“. Die Ausgabe 3/2021 legt den Schwerpunkt auf dieses Thema und startet eine Serie mit der Darstellung der verschiedenen Stufen der Parodontaltherapie.

Einordnung der korrektiven chirurgischen Therapie in ein Gesamtkonzept

Insbesondere bei schweren Formen der Parodontitis stehen häufig Überlegungen zur späteren prothetischen Versorgung von nicht oder fraglich erhaltungswürdigen Zähnen an. Die über viele Jahrzehnte propagierte Vorgehensweise, Patienten mit (schwerer) Parodontitis durch den systematischen Therapieablauf der kausalen (antiinfektiösen) Phase, der korrektiven chirurgischen Phase und der Erhaltungsphase zu führen, konfrontiert den Behandler nicht selten mit dem Problem, dass die Einschätzung der Einzelzahnprognosen und die (implantat)prothetische Planung in dieser Abfolge keine Berücksichtigung finden. Dies führt häufig zu Verunsicherungen hinsichtlich des genauen Zeitpunkts und der Priorität der Planung parodontalchirurgischer und prothetischer beziehungsweise implantologischer Maßnahmen.

Eine seit mehr als zehn Jahren in der Praxis des Autors etablierte Vorgehensweise integriert diese Aspekte wie folgt: Patienten mit einem systematischen parodontalen Behandlungsbedarf (parodontaler Screening-Index 3 oder 4) durchlaufen in der Regel zunächst die kausale (antiinfektiöse) Therapie und werden frühestens nach drei Monaten, in Abhängigkeit vom Schweregrad der Parodontitis mitunter auch erst nach sechs Monaten reevaluiert. Vor der anti­infektiösen Therapie findet eine erste Prognoseeinschätzung statt. Dabei werden lediglich Zähne mit einer „definitiv hoffnungslosen“ Prognose entfernt. Diese liegt insbesondere dann vor, wenn ein Zahn aufgrund einer tief kariösen Zerstörung nicht mehr restaurierbar ist, eine nicht therapierbare Paro-Endo- Läsion (zum Beispiel Vertikalfraktur) aufweist oder ein kompletter Verlust des Attachments (360 Grad) vorliegt. Zum Zeitpunkt der Reevaluation wird dann eine nochmalige, allerdings differenziertere Beurteilung der Prognose aller Zähne durchgeführt. Diese zweite Prognoseeinschätzung kann mittels unterschiedlicher Kriterien erfolgen. Hierbei sollten prognostisch gute klar von prognostisch fraglichen und hoffnungslosen Zähnen differenziert werden. Im Hinblick auf die genauen Differenzierungskriterien sei an dieser Stelle auf weiterführende Literatur verwiesen4,22,31.

Abb. 1 Modifizierte Systematik der parodontalen Behandlung unter Berücksichtigung der zeitlichen Einordnung von Prognoseeinschätzung und prothetisch-implantologischer Planung. PSI = parodontaler Screening-Index.
Abb. 1 Modifizierte Systematik der parodontalen Behandlung unter Berücksichtigung der zeitlichen Einordnung von Prognoseeinschätzung und prothetisch-implantologischer Planung. PSI = parodontaler Screening-Index.
Während behandlungsbedürftige Zähne mit guter Prognose sich einer korrektiven chirurgischen Therapie zuführen lassen, werden prognostisch hoffnungs­lose Zähne in der Regel als nicht erhaltungswürdig definiert und somit entfernt. Ausnahmen können einen Erhaltungsversuch rechtfertigen, sofern das regenerative Potenzial günstig ist und eine geschlossene Zahnreihe ohne prothetischen Behandlungsbedarf vorliegt9,27. Hingegen sollten prognostisch unsichere Zähne weiter hinsichtlich ihrer strategischen Wertigkeit differenziert werden. So kann bei prognostisch unsicheren Zähnen ohne strategische Bedeutung ein Erhaltungsversuch mittels parodontalchirurgischer Maßnahmen durchaus sinnvoll sein, während bei prognostisch unsicheren Zähnen mit strategischer Bedeutung sehr gut abgewogen werden sollte, ob sich die Prognose durch eine chirurgische Therapie verbessern lässt oder aber eine Entfernung das Zahnes angemessener ist.

Nach dieser Strategie ordnet sich also die Indikation für eine parodontalchirurgische Therapie eines Zahnes der Prognosestellung und der Bestimmung der strategischen Wertigkeit unter. Anders formuliert sollte über korrektive chirurgische Maßnahmen erst entschieden werden, nachdem aufgrund von differenzierten Prognoseeinschätzungen eine prothetische Planung mit oder ohne Implantate sowie ggf. noch notwendige Extraktionen erfolgt sind und damit festgelegt wurde, welche Zähne definitiv erhalten werden sollen (Abb. 1).

Einflussfaktoren bei der Entscheidungsfindung

Neben patientenbezogenen Faktoren (Allgemein­erkrankungen, Rauchen, Compliance und andere) sowie der Gewährleistung einer konsequenten postoperativen Betreuung (Nachsorge, unterstützende Parodontitistherapie) spielen die Defektmorphologie und die daraus resultierende Wahl der geeigneten chirurgi­schen Technik eine entscheidende Rolle für die Vorhersagbarkeit und den Erfolg parodontalchirurgischer Therapien. Parodontitisbedingte parodontale Defekte können grundsätzlich in supraalveoläre, interradikuläre und infraalveoläre Defekte eingeteilt werden.

Je nach Tiefe und Konfiguration dieser Defekte ergeben sich unterschiedliche therapeutische Tendenzen, die wiederum in Abhängigkeit von der Lokalisation (ästhetisch kritische oder unkritischen Regionen) weiter abgewogen werden sollten. Im Rahmen der korrek­tiven Therapie stehen für die Beseitigung oder Re­duzierung der oben genannten parodontalen Defekte reparative, regenerative und resektive Techniken zur Verfügung (Tab. 1).

Tab. 1 Einteilung der Lappendesigns in Abhängigkeit von der chirurgischen Zielstellung.
Tab. 1 Einteilung der Lappendesigns in Abhängigkeit von der chirurgischen Zielstellung.

Klassische reparative Verfahren

Reparative Verfahren haben das Ziel, mit Hilfe eines Zugangslappens („access flap“) eine Instrumentierung der Wurzeloberfläche unter Sicht zu ermöglichen, um nach Readaption des Lappens über die Ausbildung eines langen Saumepithels parodontale Taschen zu reduzieren. Zu den reparativen Verfahren gehören klassische Lappenoperationen wie der modifizierte Widman-Lappen (MWL)25, der Kirkland-Lappen18 oder das Excisional New Attachment Procedure (ENAP)36. Während der Kirkland-Lappen einen Mukoperiostlap­pen mit sulkulärer Schnittführung darstellt (Abb. 2a), sieht der von Ramfjord und Nissle beschriebene MWL die Entfernung des Taschenepithels mittels einer para­marginalen Schnittführung vor. Letzteres wurde aus der damaligen Vorstellung heraus zur Eliminierung der parodontalen Infektion als notwendig ange­sehen, was jedoch später widerlegt werden konnte30. Das ursprüngliche Ziel von Ramfjord und Nissle, eine regenerative Heilung vorhersagbar zu erreichen, ließ sich wegen des interproximalen Gewebeverlustes nicht realisieren. Vielmehr wurde in den Folgejahren gezeigt, dass die Taschenreduktion mit einer reparativen Heilung assoziiert war, die häufig mit inter­dentalen Weichgewebskratern einherging2 (Abb. 2b). Im Gegensatz dazu stellt die ENAP-Technik, die auch als offene Kürettage bezeichnet wird, einen Mukosalappen mittels marginaler Schnittführung (interne Gingivektomie) zur Instrumentierung der Wurzeloberfläche ohne Freilegung des Knochens dar36.

Insgesamt haben die klassischen reparativen Verfah­ren mittlerweile an Bedeutung verloren, da einer­seits im ästhetischen kritischen Bereich gewebe­erhaltende Techniken im Rahmen von regenerativen Therapien verbessert wurden und andererseits resek­tive Techniken zum Zweck von Tascheneliminierungen vorhersagbarere Ergebnisse liefern (siehe unten). Dennoch kann auch aus heutiger Sicht noch eine „resi­duale“ Indikation für den MWL eingeräumt werden: Beim Vorliegen von supraalveolären Taschen im Seitenzahn­bereich (mit Sondierungstiefen von ca. 5 bis 7 mm) ist der MWL durchaus empfehlenswert, sofern ein ausreichendes Band (> 2 mm) an keratinisierter Gingiva existiert (Abb. 7). Bei schmaler oder fehlender Gingiva sind resektive Maßnahmen mit apikal reponierten Mukosalappen zur Tascheneliminierung und zur gleichzeitigen Erhaltung oder Wiederher­stellung der keratinisierten Gingiva vorzuziehen.

Regenerative Verfahren

Regenerative Techniken verfolgen das Ziel, unter ma­ximaler Gewebeerhaltung eine Wiederherstellung des Zahnhalteapparats zu erreichen. Hierfür ist es notwendig, das Blutkoagulum in dem zu regenerierenden Raum zu stabilisieren und das epitheliale Tiefen­wachstum zu stoppen. Zu diesem Zweck haben sich – je nach Defektkonfiguration – der Einsatz von Knochenersatzmaterialien, biologischen Faktoren und Barrieremembranen (gesteuerte Geweberegeneration) sowie die Kombinationen dieser Maßnahmen eta­bliert12. Ein allgemein anerkanntes Indikationsfenster für regenerative Verfahren besteht bei tiefen infra­alveolären (angulären) Defekten (≥ 3 mm) und bei Furkationsgrad 2 (insbesondere im Unterkiefer), da diese Zustände wesentliche Voraussetzungen für eine Raumstabilisierung sind (siehe Abb. 7).

Dennoch unterliegen die Ergebnisse aufgrund diver­ser beeinflussender Kofaktoren einer hohen Heterogenität12,24. Bei angulären Defekten spielen unter anderem die Dicke der Gingiva, die Anzahl der begrenzenden Knochenwände und der Defektwinkel eine Rolle. Je mehr Wände vorliegen und je kleiner der Defekt­win­kel ist, desto höher fällt das regenerative Potenzial des Knochendefekts aus. Während bei selbst­erhal­ten­den schmalen (< 2 mm breiten) dreiwandigen Defekten der alleinige Einsatz von Schmelzmatrixproteinen, Knochenersatzmaterialien oder Membranen eine aus­reichende Stabilisierung ermöglicht, bedarf es bei breiteren (> 2 mm) Defekten einer anderen Strategie: Einerseits kann über ein sogenanntes Exoskelett eine ausreichend versteifte, defektstabilisierende nicht resorbierbare Membran eingesetzt werden12,35. Andererseits wäre eine Defektstabilisierung von innen über ein Endoskelett möglich12,34, welches aus der Kombination eines Knochenersatzmaterials mit einer resorbierbaren Membran oder aber aus der Kombination von Schmelzmatrixproteinen mit Knochen­ersatzmaterialien bestehen kann12. Bei nicht resorbierbaren Membranen sollte jedoch das erhöhte Risiko einer Membranexposition beachtet werden19.

Papillenerhaltende Verfahren

Abb. 3 Entscheidungsschema für die Wahl des papillenerhaltenden Lappendesigns in Abhängigkeit von der Lokalisation des parodontalen Knochendefekts und der Größe des Interdentalraums. *: Bukkale Knochenwand weitestgehend erhalten? (Bone Sounding).
Abb. 3 Entscheidungsschema für die Wahl des papillenerhaltenden Lappendesigns in Abhängigkeit von der Lokalisation des parodontalen Knochendefekts und der Größe des Interdentalraums. *: Bukkale Knochenwand weitestgehend erhalten? (Bone Sounding).
Für regenerative Verfahren wurde in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl an papillenerhaltenden Techniken entwickelt, die einen kompletten Lappenschluss ohne Gewebeverlust anstreben. Von diesen sollen hier nur diejenigen erwähnt werden, die sich aus Sicht des Autors etabliert haben. Die Lokalisa­tion des infraalveolären Defekts hat einen wichtigen Einfluss auf die Wahl des Lappendesigns. Generell empfiehlt es sich, zunächst die Breite des Interdentalraums (Breite der Basis der Papille) zu bestimmen. Ist der Interdentalraum größer als 2 mm, sollte überprüft werden, ob der Defekt (zum überwiegenden Anteil) bukkal oder oral liegt. Wenn er im bukkalen Bereich liegt, ist der klassische Papillenerhaltungslappen von Takei et al.33 empfehlenswert. Bei dieser Technik erfolgt auf der Oralseite eine halbmondförmige Inzision um die Papille, welche dann nach bukkal mobilisiert wird. Liegt der Defekt oral, sollte der modifizierte Papillenerhaltungslappen nach Cortellini et al.7 angewandt werden, bei welchem die Papille von vestibulär umschnitten und nach oral mobilisiert wird (Abb. 3). Damit lässt sich der Forderung Rechnung tragen, Inzisionen und somit den späteren Nahtverschluss nach Möglichkeit über dem intakten Knochen vorzunehmen.

In Situationen, in denen die Breite des Inter­dentalraums 2 mm oder weniger beträgt, sollte die Höhe der supraalveolären Komponente (Dicke der interproximalen Gingiva) überprüft werden. Liegt eine hohe supraalveoläre Komponente vor (dicke Gingiva über dem Defekt), ist der vereinfachte Pa­pillenerhaltungslappen nach Cortellini et al.8 zu empfehlen. Bei dieser Technik wird eine schräge Inzision durch die Papille über dem Defekt von der bukkalen Kante des betroffenen Zahnes zur Mitte der Appro­ximalfläche des Nachbarzahnes vorgenommen. Die Mobilisierung und die Rückführung des interproximalen Gewebes erfolgen analog zu den anderen Techniken. In Fällen, bei denen der Interdentalraum schmal und die supraalveoläre Komponente flach (dünne Gingiva über dem Defekt) ist, empfiehlt sich die Papillenamplifikationstechnik von Zucchelli und de Sanctis37 (Abb. 3). Dieses Verfahren stellt eine Kombination aus einem modifizierten koronalen Verschie­belappen und einer paramarginalen Schnittführung an der bukkalen Gingiva dar. Durch die para­marginale Schnittführung wird der Papillensteg in seiner Länge vergrößert, so dass er mittels koronaler Verschiebung den zuvor degranulierten und augmentierten interproximalen Defekt sicher abdecken kann (Abb. 4a bis h).

Diese Art der Papillen­amplifikation erscheint vor allem für schlecht erreichbare, enge Interdentalräume zwischen Molaren vorteilhaft, setzt jedoch ein Mindestmaß an kerati­nisierter bukkaler Gingiva voraus.

Neue minimalinvasive Tendenzen

Neuere Techniken arbeiten mit minimalinvasiveren Vorgehensweisen, die die Morbidität verringern und das Heilungsergebnis verbessern. So sieht beispielsweise die minimalinvasive chirurgische Technik (MIST) von Cortellini und Tonetti10 je nach Inter­dentalraumgröße eine modifizierte oder vereinfachte Papillen­erhaltungstechnik vor, verzichtet dabei allerdings im Gegensatz zu den oben genannten Methoden auf eine Mobilisierung des bukkalen Lappens über die mukogingivale Grenze hinaus. Eine weitere Modi­fikation dieser Technik, die modifizierte minimal­invasive chirurgische Technik (M-MIST)11,17, besteht darin, die Interdentalpapille lediglich zu unterminieren, jedoch nicht komplett zu mobilisieren, womit die Blutversorgung des Lappens und dessen Stabilität zusätzlich verbessert werden. Bei der Wahl des geeigneten Lappen­designs für eine regenerative Therapie sollte stets zunächst die Möglichkeit eines minimalinvasiven Zugangs überprüft werden (siehe Abb. 3). Falls die bukkale Knochenwand weitest­gehend intakt ist, lässt sich ein minimalinvasiver Weg (MIST oder M-MIST) in Betracht ziehen. Sofern darüber hinaus der Defekt auf den bukkal-inter­proximalen Bereich beschränkt bleibt, kann auch auf eine Mobilisierung der Papille ver­zichtet werden (M-MIST). Wenn allerdings die orale Knochenwand betroffen ist, wird man eine Mobilisierung der Pa­pille nicht vermeiden können (MIST). Diverse Langzeitstudien haben gezeigt, dass unter der Voraus­setzung einer konsequenten unterstützen­den Parodontitistherapie mit den genannten papillen­erhaltenden Maßnahmen für regenerative Therapien erfolgreiche und langzeitstabile Ergebnisse erzielt werden können6,29.

Resektive Techniken

Im Gegensatz zu regenerativen Verfahren ist das Ziel resektiver Techniken die Tascheneliminierung, die mit einem Gewebeverlust einhergeht. Hierzu zählen der apikale Verschiebelappen (AVL, Abb. 5)15,23, die (externe) Gingivektomie mit Gingivoplastik (GE/GP)32 und die distale Keilexzision26.

Während die GE/GP einerseits beim Vorliegen von Pseudotaschen und Gingiva­wucherungen indiziert sein kann, besteht eine weitere Indikation bei supraalveolären Taschen im Seitenzahngebiet mit einem hohen Anteil an keratinisierter Gingiva. Die Hauptindikation des AVL sind flache infra­alveoläre Defekte (< 3 mm) im ästhetisch nicht kritischen Bereich (siehe Abb. 7). In diesem Fällen erfol­gen eine begleitende Ostektomie und Osteoplastik, um die flache Knochentasche zu eliminieren. Eine weitere Indikation des AVL besteht beim Vor­liegen von supraalveolären Taschen im Seitenzahnbereich, insbesondere bei mangelnder (< 2 mm breiter) keratinisierter Gingiva, die durch eine Gingivektomie oder einem MWL verloren ginge. Dabei kann der AVL als Mukoperiost- oder Mukosalappen präpariert werden. In den meisten Fällen wird die Mukosalappentechnik favorisiert, da eine bessere Ausdünnung des Lappens möglich ist, der Knochen nur selektiv exponiert wird und eine präzisere Fixierung des Lappens am Periost erzielt werden kann (Abb. 5a und b). Die distale Keilexzision dient ebenfalls der Eliminierung von supraalveolären oder flachen infraalveo­lären Taschen, allerdings distal von Molaren beziehungsweise einzeln stehenden Zähnen. Häufig wird die distale Keilexzision mit einem apikalen Verschiebelappen kombiniert. Resektive Verfahren führen zu einer sehr sicheren Tascheneliminierung mit guten Langzeitergebnissen3, obwohl der Gewebeverlust als Nachteil angesehen werden muss.

Unter den interradikulären Defekten stellen Furkationsbeteiligungen Grad 2 an oberen Molaren und Furkationsbeteiligungen Grad 3 mögliche Indikationen für resektive Furkationstherapien dar. Sie verfolgen das Ziel, entweder durch die Schaffung einwurzeliger Verhältnisse (Hemisektionen, Trisektionen, Wurzelamputationen, Prämolarisierungen) oder Tunnelierungen die Furkationsnische zu beseitigen und damit den Defekt zu eliminieren13. Diese Maßnahmen sind insbesondere aus prothetischer Sicht stets gegen die Möglichkeit der Extraktion oder aber einer (palliativen) konservierenden Therapie abzuwägen.

Differenzialindikationen und Entscheidungsfindung

Abb. 6 Differenzialindikation zwischen resektiven und regenerativen Maßnahmen.
Abb. 6 Differenzialindikation zwischen resektiven und regenerativen Maßnahmen.
Neben den zuvor genannten defektbezogenen Aspek­ten spielen auch andere Kriterien eine Rolle, welche die Differenzialindikation zwischen regenerativen und resektiven Maßnahmen beeinflussen können. So ist die Vorhersehbarkeit der Defekteliminierung bei resektiven Verfahren weniger stark von Patientenfaktoren abhängig als bei regenerativen Verfahren. Daher könnte es sinnvoll sein, bei schlechterer Compliance und/oder dem Vorhandensein erworbener Risikofaktoren (zum Beispiel Rauchen) in Grenzfällen (beispielsweise 3 mm tiefe infraalveoläre Defekte) zur resektiven Therapie zu tendieren, selbst wenn die reine Defektbezogenheit eine regenerative Therapie rechtfertigen würde. Auch die Wertigkeit eines Zahns als strate­gischer Pfeiler gibt möglicherweise im Hinblick auf eine bessere Vorhersehbarkeit der Taschenreduktion den Anstoß, resektive Therapien zu favorisieren, während ästhetische Aspekte den regenerativen Verfah­ren Vorrang geben würden (Abb. 6).

Abbildung 7 fasst die bisher beschriebenen Empfehlungen zusammen und soll als Entscheidungshilfe dienen. Ergänzt wird dies durch die Empfehlung, in ästhetisch kritischen Regionen bei supra- und flachen infraalveolären Taschen papillenerhaltende Techniken oder aber konservative (nichtchirurgische) Therapien anzuwenden. Auch wenn sich in diesen Fällen eine regenerative Heilung nicht vorhersehbar erzielen lässt, können im Vergleich zu den klassischen Zugangslappen Rezessionen weitestgehend minimiert werden.

Abb. 7 Entscheidungsschema zur Wahl der geeigneten Lappenoperation bei supraalveolären, interradikulären und infraalveolären parodontalen Defekten. MWL = modifizierter Widman-Lappen; GE = Gingivektomie; KG = keratinisierte Gingiva, F = Furkationsbefall; OK = Oberkiefer, UK = Unterkiefer.
Abb. 7 Entscheidungsschema zur Wahl der geeigneten Lappenoperation bei supraalveolären, interradikulären und infraalveolären parodontalen Defekten. MWL = modifizierter Widman-Lappen; GE = Gingivektomie; KG = keratinisierte Gingiva, F = Furkationsbefall; OK = Oberkiefer, UK = Unterkiefer.

Fazit

Sowohl die zeitliche Einordnung als auch die Wahl parodontalchirurgischer Verfahren sollten stets vor dem Hintergrund einer zahnärztlichen Gesamtplanung erfolgen. Patientenfaktoren, Defektcharakteristika und die strategische Wertigkeit von Zähnen beeinflussen dabei die Indikation und die Wahl des geeigneten chirurgischen Vorgehens. Die Gewährleistung einer konsequenten postoperative Nachsorge und einer ri­sikoorientierten unterstützenden Parodontitisthera­pie ist ein weiterer Schlüssel für einen langzeitstabilen Erfolg.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Jamal M. Stein, Aachen

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 10/19 Parodontologie Chirurgie

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