Im Gesundheitswesen wächst der Unmut und macht sich lautstark Luft: Nach vorangegangenen Protesten von Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern in Hessen und Aktionen der Zahnärzteschaft in anderen Bundeländern, gingen am Tag der Zahngesundheit in Hessen und Nordrhein-Westfalen die Zahnärztinnen und Zahnärzte auf die Straße, um Missstände öffentlich anzuprangern und vor einer Gefährdung der zahnmedizinischen Versorgung durch eine verfehlte Gesundheitspolitik zu warnen.
In Hessen hatten die Landeszahnärztekammer (LZKH), die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV Hessen) und der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ LV Hessen) die Kolleginnen und Kollegen zur Teilnahme an zentralen Kundgebungen in Frankfurt und Kassel aufgerufen – jedoch nicht diese allein. Auch Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Zahntechnikerinnen und -techniker, Patientinnen und Patienten waren den Aufrufen gefolgt, denn eine Gefährdung der Versorgung betrifft alle. „Bereits jetzt sind viele Zahnärztinnen und Zahnärzte aufgrund der politischen Rahmenbedingungen ihrer Berufsausübung frustriert. Praxen finden keine Nachfolger, schließen früher als geplant und junge Kolleginnen und Kollegen fragen sich, ob es noch Sinn macht, das Wagnis einer Niederlassung in eigener Praxis anzugehen“, so die Meldung der hessischen Zahnärzteschaft.
Tausende zeigen der Bürokratie die Zähne
In Hessen nahmen insgesamt rund 2.500 Menschen an den Protestveranstaltungen in Frankfurt und Kassel, jeweils auf dem Opernplatz, teil. Neben vielen aktuellen Herausforderungen stand ein Thema ganz vorne: Die kaum mehr tragbare Belastung der Praxen durch eine in Teilen sinnfreie Bürokratie, die für Viele bereits die Grenze zur Schikane überschritten hat.
Politik und Standespolitik unterstützen Proteste in Hessen
Unterstützt wurden die hessischen Proteste durch Vertreter der Politik wie den Landtagsabgeordneten Maximilian Bathon (CDU) in Kassel sowie die Gesundheitspolitischen Sprecher Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU) und Yanki Pürsün (FDP) bei der Kundgebung in Frankfurt. Auch die zahnärztlichen Berufsvertretungen auf Bundesebene waren mit Redebeiträgen bei den Kundgebungen vor Ort vertreten: Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und Dr. Christian Öttl, Bundesvorsitzender des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ). Weitere Unterstützung kam mit Kammerpräsidentin Ursula Funke vonseiten der Apotheken sowie von Vertreterinnen und Vertretern des Verbandes medizinischer Fachberufe (vmf) und der Zahntechnikerinnungen, die für die Praxisteams und Labore vor Ort waren.
Viele bürokratische Vorschriften absurd
Anhand anschaulicher Beispiele zeigte LZKH-Präsidentin Dr. Doris Seiz die Absurdität vieler bürokratischer Vorschriften auf, die Zahnärztinnen und Zahnärzte neben ihrer Arbeit zu berücksichtigen haben: „Wir führen täglich in unseren Praxen ambulante chirurgische Eingriffe durch, anästhesieren und implantieren. Wenn es aber darum geht, Leitungswasser zur jährlichen Überprüfung der Trinkwasserqualität in ein Fläschchen abzufüllen, kommen unsere Fertigkeiten offenbar an ihre Grenzen, denn hierfür haben wir in Hessen einen akkreditierten Wasserprobennehmer einzubestellen. Jährlich sind hunderte Vorgaben zu beachten und umzusetzen, von denen viele völlig überflüssig oder unsinnig sind und häufig doppelt und dreifach erfüllt werden müssen. Diese Bürokratie frisst inzwischen knapp ein Viertel unserer Zeit, die wir eigentlich für die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten brauchen.“
Mehr Zeit für Patienten und eine angemessene Vergütung
„Patientinnen und Patienten wollen auch weiterhin gut, wohnortnah und zuverlässig zahnmedizinisch versorgt werden. Stattdessen macht es die Politik dem zahnärztlichen Berufsstand immer schwerer. Junge, motivierte Nachwuchskräfte brauchen eine berufliche Perspektive. Sie wollen Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben. Dazu gehört der Abbau unnötiger bürokratischer Zeitfresser. Dazu gehört die Gewissheit, dass neue Therapiekonzepte wie die seit Mitte 2021 geltende Behandlungsstrecke bei Parodontitis auch bei den Versicherten ankommen können. Das funktioniert aber nicht ohne eine verlässliche, angemessene Vergütung. In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der vertragszahnärztlichen Praxen in Hessen um fast 10 Prozent gesunken – ein deutliches Warnsignal! Politische Entscheider auf Bundes- und Landesebene sollten dieses Warnsignal sehen und jetzt umsteuern. Andernfalls ist die zahnmedizinische Versorgung in den kommenden Jahren definitiv gefährdet!“, sagt Stephan Allroggen, Vorstandsvorsitzender der KZV Hessen.
Große Einigkeit aller Berufe in der Zahnmedizin
Dr. Andreas Koch, Vorsitzender des hessischen Landesverbandes im Freien Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ), der die Kundgebung in Kassel auch moderierte, stellte vor allem die große Einigkeit unter den Protestierenden heraus: „Wir stehen hier und heute nicht nur als zahnärztliche Kolleginnen und Kollegen auf den Plätzen, um zu zeigen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Mit uns protestieren unsere Praxisteams mit ihren Berufsvertretungen und zeigen sich ebenso solidarisch wie auch die Zahntechnikerinnen und Zahntechniker, die uns tagtäglich zuarbeiten. Diese Einigkeit brauchen wir, denn letztlich sind alle im Gesundheitswesen von der Gesundheitspolitik der Bundesregierung betroffen – einem Gesundheitswesen, das zu den besten der Welt zählt, aber seit einigen Jahren mit Vollgas an die Wand gefahren wird. Leidtragende sind dabei nicht nur wir, sondern vor allem unsere Patientinnen und Patienten“.
Zu den Berichten über die Protestaktionen in Nordrhein und Westfalen-Lippe.