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Was hinter der Hängepartie bei GOÄ und GOZ steckt und was daraus folgt – Dr. Uwe Axel Richter mit einer Analyse

(c) Andrew Chin/Shutterstock.com

Leider ist es so: Wir leben derzeit politisch und gesellschaftlich in äußerst schwierigen Zeiten. Das gilt nicht nur für die Außenpolitik, sondern ist für mehr oder weniger alle Politikfelder kennzeichnend. Steigende Unsicherheit allenthalben, und dies nicht erst seit drei Monaten. Nur für das Gesundheitssystem lässt sich, zumindest derzeit, konstatieren: „Same procedure as every year“.

Denn auch „Kollege“ Karl Lauterbach hat sich entschieden, politische Führung im Gesundheitswesen – also wohin soll es gehen und wie können wir das schaffen – unter seinen Fittichen nicht stattfinden zu lassen. Oder wie soll man seinen kategorischen Imperativ „Keine Leistungskürzungen“ im Angesicht einer zunehmend schwieriger werdenden wirtschaftlichen Lage samt weiter eintrübendem Ausblick verstehen? Im Umkehrschluss bedeutet diese Festlegung doch nichts anderes, als das neben steigenden Steuerzuschüssen und angekündigten – oder angedrohten? –  Anpassungen bei dem Beitragssatz anderenorts gespart werden muss. Also bei wem?

Bei wem gespart werden wird

Zwar lässt das nächste Sparrundengesetz mit dem bezeichnenden Namen GKV-Stabilisierungsgesetz seit Wochen noch „immer“ auf sich warten. Trotzdem kann diese Frage schnell beantwortet werden, wenn man sieht, wo der Minister ebenfalls keinesfalls sparen will: bei der Digitalisierung und bei den „modernen“ Impfprogrammen. Dann bleiben fürs Sparen nur noch die potenziellen Reserven der Krankenkassen, die Pharmaindustrie, sofern diese nicht im Impfgeschäft tätig ist, die immer wieder beschworenen Effizienzreserven im System (Wenn es diese gibt – wie schnell können die eigentlich gehoben werden?) und die große Gruppe der sogenannten Leistungserbringer.

Mammutaufgabe: 5.600 Ziffern in der neuen GOÄ

Hinsichtlich der ärztlichen PKV-Honorare hatte sich Lauterbach ja bereits anlässlich des kürzlich zu Ende gegangenen Deutschen Ärztetages klar positioniert. Nun ist die neue (reformierte) Gebührenordnung Ärzte (GOÄ) nach fast zehn Jahren Entwicklungsarbeit weitestgehend fertig. Man muss sich das einmal vor Augen halten: Sämtliche Leistungsbeschreibungen und Bewertungen wurden in Zusammenarbeit mit 165 wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Berufsverbänden auf dem Boden des medizinischen Fortschritts neu erstellt und mit der PKV konsentiert. Eine Mammutaufgabe angesichts von rund 5.600 Ziffern, bei denen nun die Verhandlungen über die Preise laufen. Eine Testphase der Gebührenordnung soll gegen Ende des Jahres erfolgen.

Völlig veraltete GOÄ bei knappen Kassen von Vorteil

So weit, so schlecht. Denn eine völlig veraltete und weder die Dynamik des ärztlichen Leistungsspektrums noch die aktuelle Kosten- und Preisentwicklung abbildende GOÄ, wie Ärztekammerpräsident Reinhardt feststellte, scheint in Zeiten noch knapper werdender Kassen für den Minister sehr von Vorteil zu sein. Wie bei all seinen Vorgängern im Amt übrigens auch. Da interessieren neue medizinische Standards und permanent steigende Kosten wenig, solange die wirklich Betroffenen nur weit genug vom eigenen Schreibtisch weg sind. Oder weggehalten werden können.

Wolkige Worte sollen das Nichts-Tun-Wollen verschleiern

Und so verpackte Lauterbach seine ablehnende Haltung mit den wolkigen Worten des Ampel-Koalitionsvertrages, dass nämlich „nichts passieren soll, was das empfindliche Gleichgewicht von Privater und Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) im Gesundheitssystem verschieben könnte“. Empfindliches Gleichgewicht? Bei was eigentlich? Was für ein Zynismus. Ironisierend könnte man anfügen, dass mittlerweile 50 Prozent der Deutschen privat krankenversichert seien. Zusatzversichert halt, aber auch da greifen GOÄ und GOZ.

Aber immerhin ließ sich der Minister anlässlich der Pressekonferenz der PKV Ende vergangener Woche mit den Worten vernehmen: „Für die PKV ist immer ein Platz in meinem Herzen.“ Da ist die PKV bei einem SPD-Politiker durchaus richtig verortet, denn schon die Gebrüder Grimm wussten, dass man sein Herz „abschließen“ kann. Ob das angesichts des allerorten steigenden Inflationsdruckes reichen wird, die Forderungen aus dem Leistungserbringerlager weiter nonchalant abzubügeln, sei einmal dahingestellt.

Auch die Weiterentwicklung der GOZ blockiert

Was eben auch für die Zahnärzteschaft gilt. Denn die hängt, der Ausdruck sei mir nachgesehen, nun mehrfach am Fliegenfänger. Die ablehnende Haltung zur GOÄ – und man darf davon ausgehen, dass diese eben nicht nur bei Lauterbach zu finden ist, sondern in der Ampelkoalition durchgehend vorherrscht – wird auch die Weiterentwicklung der seit nunmehr 35 Jahren nur marginal angepassten GOZ weiterhin blockieren.

Das betrifft nicht nur die Gebührenpositionen, in denen sich die GOZ auf die GOÄ bezieht. Und nicht nur die Frage einer seit nunmehr fast 35 Jahren nur marginal an die zahnmedizinische und preisliche Entwicklung angepassten GOZ. Sondern auch ganz praktisch die Umsetzung zahnmedizinischen Fortschritts in die Gebührenordnung. Bespielhaft dafür steht die neue „Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontal-Erkrankungen“, die bereits im Leistungskatalog der GKV enthalten ist. In der GOZ findet sich dieser leitlinienbasierte state of the art natürlich nicht. Wie auch?

Weder systematisch noch pekuniär zeitgemäß

Auch wenn man sich hier mit der PKV unter Druck aus dem Bundesgesundheitsministerium auf eine Analogberechnung einigen konnte, ändert es an dem grundlegenden Problem nicht: Die Gebührenordnungen der Zahnärzte wie auch der Ärzte sind nicht mehr zeitgemäß – weder systematisch noch pekuniär.

Angesichts der sich wirtschaftlich eintrübenden Lage könnte man zu dem Schluss kommen, dass der jetzige Zeitpunkt für Verhandlungen zu GOZ und GOÄ kaum schlechter sein könnte. Politisch, dass sei an dieser Stelle angemerkt, gab es in den vergangenen 50 Jahren diesen ominösen richtigen Zeitpunkt nie. Und zwar unabhängig davon, welche der üblichen Parteien in Regierungsverantwortung waren.

Also Mund halten und lieber das Hamsterrad anwerfen? Ob Regress oder HVM – das wäre für diejenigen, die die Leistung erbringen, die schlechteste aller Lösungen. Denn es geht bei der notwendigen Novellierung von GOZ und GOÄ um die adäquate Abbildung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts sowie um eine zeitgemäße und angemessene Honorierung.

Faktische Leistungskürzungen für die Patienten

Ob dieser innere Zusammenhang politisch wirklich verstanden wird? Wer wie Lauterbach keine Leistungskürzungen für die Patienten will, muss somit entweder das versorgende System am Laufen halten oder eben eine neue Struktur implementieren. Aber – salopp formuliert – auf dem Lebensnerv der diesbezüglich bewährten ambulanten Strukturen „rumzutrampeln“ und gleichzeitig keine ausreichende Ersatzstruktur zu haben, kann nur darin enden, dass bei den Leistungen gestrichen werden muss. Angesichts des bereits existenten Hausärztemangels ist ja jeder Niedergelassene, der „vorzeitig“ seine Praxis aufgibt, auch ein Schritt in die faktische Leistungskürzung.

Die Politik täte also gut daran, dieses kurzsichtige, pekuniäre Verharren auf dem Stand der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts intellektuell zu beenden. Sonst wird das auch mit der Digitalisierung nichts …

Aber das ist jetzt wieder ein anderes Thema. Und doch wieder nicht.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

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