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Was steckt hinter der Debatte um die Terminvergabe bei Ärzten und Fachärzten, für GKV- und PKV-Patienten? – Eine Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

(c) Katherina K./shutterstock.com

So langsam aber sicher wird es richtig ungemütlich im bundesdeutschen Vertrags-Gesundheitswesen. Und das liegt definitiv nicht an dem seit langer Zeit wahrnehmbar rauer werdenden Umgangston der „Markt“-teilnehmer, sondern daran, dass wirkliche, also substanzielle Reformen nicht mehr zu vermeiden sind. Die politisch induzierte Flatrate-Mentalität auf der Nachfrageseite verträgt sich halt nicht mit steigenden Versicherungsbeiträgen – die Kassen sprechen selbst von Rekordbeiträgen – bei gleichzeitig abnehmendem Angebot auf Seite der Leistungserbringer. Welches, auch das gehört zur Wahrheit, seitens der Politik insbesondere bei den Fachärzten bewusst in Kauf genommen, wenn nicht gar induziert wird.

Mit Populismus gegen die eigenen Fehler

Da hilft dann auch die Populismuskeule aus den Vorstandsreihen der Spitzenverbände der Krankenkassen („Diskriminierung von GKV-Patienten nicht länger hinnehmen“) gegen Heilberufler und Privatversicherte(!) nicht weiter. Außer natürlich, dass bei der angegriffenen Gruppe der Vertragsärzte ordentlich Dreck am weißen Kittel hängenbleibt.

Aktuelles Beispiel sind die öffentlichen Auseinandersetzungen rund um die Terminvergabe in den Arztpraxen und die ansteigenden Wartezeiten für Patienten auf die Veröffentlichung einer repräsentativen Umfrage unter GKV-Versicherten des GKV-Spitzenverbandes. Über die wesentlichen Ergebnisse berichtete Quintessenz-News. Die beabsichtigte mediale Empörungswelle ließ nicht lange auf sich warten.

Empörung um der Empörung willen?

Nachfolgend eine Auswahl reichweitenstarker Medien: „Streit über Terminvergabe – Privatpatienten bevorzugt? Ärzte klagen über „Neiddebatte“ Gesetzlich Versicherte müssen oft lange auf einen Termin beim Facharzt warten. SPD, Grüne und Krankenkassen wollen das ändern. Der Ärzteverband findet die Diskussion „unredlich und albern“(Spiegel); „Krankenkassen – hat die Bevorzugung von Privatpatienten bald ein Ende? (stern)“; „Diskriminierung von Kassenpatienten – SPD will Strafen für lange Wartezeiten beim Arzt“ (stern)“; „Die Zwei-Klassenmedizin – Facharztbehandlung: Krankenkassen fordern faire Terminvergabe. Wer einen Facharzttermin benötigt, muss bisweilen wochenlang warten. Der GKV-Spitzenverband will das ändern (Süddeutsche Zeitung); „Kassenpatienten sollen schneller einen Termin bekommen - Die Debatte um die Zwei-Klassen-Medizin, in der Privatpatienten schneller einen Termin beim Facharzt bekommen, wird lauter. Gefordert werden eine veränderte Terminvergabe und mehr Transparenz (Handelsblatt).“

„Rosinenpickerei beenden“

Eine Forderung, die der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, bereits 2024 an Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach gestellt hat. Laut der Stiftung sollen regelmäßige Datenerhebungen zur Terminvergabe in den Praxen stattfinden, um mögliche Unterschiede zwischen gesetzlichen und privaten Versicherten zu klären.  Alle zwei Jahre solle dann vom Bundesgesundheitsministerium ein entsprechender Bericht vorgelegt werden.

Knaller Lauterbach

Da wir gerade beim „Noch-und-vielleicht-bald-wieder-Gesundheitsminister“ Karl Lauterbach sind. Dieser ließ sich zu diesem Thema mit der ganzen Wucht seines dreijährigen Schaffens im Bundesgesundheitsministerium via BILD wie folgt zitieren: „Wartezeit-Revolution –Lauterbach gibt Blitz-Termingarantie beim Arzt.“ Nun gut, könnte man meinen, manchmal übertreiben sie bei der BILD halt ein wenig. Wer sich aber die 40minütige Aufzeichnung des Formats Wahllokalzu Gemüte führt, wird sich angesichts der weiteren Ausführungen des Ministers fragen, ob lachen oder doch weinen angebrachter ist. Allein der ministeriale Gesichtsausdruck bei der Aufzählung der monatlichen Beiträge der GKV-Versicherten – 400, 500, 600, 700 Euro glich eher dem Reizen eines das Skatspiel nicht verstanden habenden Spielers – lassen an seiner Kenntnis der Materie ernsthaft zweifeln. Oder seine Knalleransage in Bezug auf die notwendige Anzahl der Krankenkassen, dass auch 30 bis 50 Krankenkassen ausreichend seien. Typisch Lauterbach, auf der populistischen Suche nach Beifall (von wem eigentlich) ohne nachzudenken einfach mal eine Zahl herausgehauen, die ihm alle Interpretationsmöglichkeiten offenlässt. Warum eigentlich 30 bis 50 Kassen und nicht nur eine? Oder eine je Bundesland, also 16? Upps, das käme bei dem Wählerpotenzial der Kassenmitarbeiter bestimmt nicht gut an. Egal wie hoch das Einsparpotenzial auch sein würde …

Übersprungshandlungen à la Lauterbach

Nebenbei bemerkt: Auch von ihm kam die populistische Behauptung, dass die langen Wartezeiten der GKV Patienten aufgrund der Bevorzugung der Privatversicherten hervorgerufen würden. Postwendend gefolgt von der Drohung, dass dieses durch Honorarabzüge zu sanktionieren sei. Aber wo liegt denn nun das Problem? Gemäß Lauterbach am unsinnigen Honorarsystem und den dadurch verursachten zu vielen Arzt-Patienten-Kontakten. Das werde sich mit der Einführung der Jahrespauschale ändern. Schließlich hätten wir ja genug Ärzte (vor kurzem hatten wir noch 5.000 bis 6.000 Niedergelassene zu wenig). Mit dieser wirren Argumentation kommt der Minister zu dem Schluss: „Es ist nicht einzusehen, dass jemand in dringlichen Fällen warten muss.“

Soweit so typisch. Deshalb sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen: Lauterbach trat bei BILD-TV auf, nicht auf einem Fachkongress. Umso fragwürdiger sind seine Aussagen zu dringlichen Terminen. Aus meiner Perspektive sind diese für einen approbierten Mediziner skandalös, sagte er doch tatsächlich, dass bei dringlichen Terminen Wartezeiten von ein, zwei Wochen akzeptabel seien. „Wenn es noch dringlicher ist, noch schneller.“ Halleluja, lets join the NHS club. Der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, bezeichnete diese Aussagen als völlige Unkenntnis des Systems oder bewusste Wählertäuschung. Ich fürchte, beides trifft bei dem Gesundheitsökonom auf dem BMG-Ministersessel zu. Ob die Aussagen zutiefst unärztlich sind, möge jeder für sich selbst entscheiden. 

Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode

Nun bezieht sich die derzeitige Kampagne zum Thema Wartezeiten im Wesentlichen auf die niedergelassenen Fachärzte. Unterfüttert wird diese Stoßrichtung mit den Ergebnissen der aktuellen Versichertenbefragung im Auftrag des GKV-Spitzenverbands. Zitat: „Gesetzlich Versicherte wünschen sich einen schnelleren Zugang zu Behandlungen in fachärztlichen Praxen, in der hausärztlichen Versorgung sind sie mehrheitlich zufrieden.“ Betrachtet man die Ergebnisse der GKV-SV Befragungen von 2019, 2022 und 2024, dann fällt auf, dass die Regelungen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) zu wahrnehmbaren Verbesserungen bei der Terminsituation geführt hat. Und sich wieder verschlechterten, als der Minister mit dem GKV-Finanz-Stabilisierungsgestz (GKVFinStg) das Mehrhonorar unter Beifall der Kassenseite wieder einkassierte, die um 25 Prozent erhöhten Praxisöffnungszeiten aber in Kraft ließ.

Das Kopfchaos regiert

Die angepatzten niedergelassenen Fachärzte sind jedoch genau die, welche der Minister in der ambulanten Versorgung, Stichwort zweite Facharztschiene, sowieso falsch positioniert sieht. Wie muss man dann dieses ganze Tamtam um die Wartezeiten verstehen? Meiner Meinung nach reicht Wahlkampfgetöse als Begründung nicht aus. Die Krankenkassen wiederholen mantraartig, dass sie für die Steigerung des ärztlichen Honorars mehr real wahrnehmbare Versorgungsleistung, also Reduktion der Wartezeiten für Ihre Versicherten sehen wollen. Der konstruktive Vorschlag des vdek, dem Verband der Ersatzkassen, stellte Anfang 2024 nachfolgende Forderungen zur Verbesserung der Terminsituation auf: Erhöhung der Mindestsprechzeiten für die GKV-Versicherten über die bisherigen 25 Stunden hinaus, Online-Terminbuchungen für Patientinnen und Patienten sowie Videosprechstunden, sowie eine Verbesserung von Bekanntheitsgrad und Services der Terminservicestellen.

Zugriff auf den Terminkalender der Praxen

Hinsichtlich der Termine ist die Forderungslage 2025 eine Stufe weiter. Nun fordern die Kassen ein gemeinsames Terminbuchungssystem, vulgo den Zugriff auf den Terminkalender der Ärzteschaft. Ein weiteres anschwellen des bürokratischen Tsunamis, natürlich im Namen der Gerechtigkeit, wäre die Folge. Was im Übrigen die Zahnärzteschaft gleichfalls betreffen würde.

Und welche Vorschläge zur Verbesserung kommen von Seiten der Ärzteschaft? Von der Bundesärztekammer kommt die Forderung nach einem Primärarztsystem. Laut KBV sei eine intelligente Steuerung mit der Unterscheidung zwischen Bedürfnis und Bedarf auf Basis eines einheitlichen und verbindlichen Ersteinschätzungsverfahrens notwendig. Mit diesem müssen die Behandlungsdringlichkeit und die angemessene Versorgungsebene bestimmt werden.

Praxen als Fließbandbetriebe?

Man darf davon ausgehen, dass angesichts des Problemdrucks eine kurzfristige Lösung her muss. Und die wird, wie soll es auch anders sein, digital sein – ein wie auch immer geartetes „gemeinsames“ Terminbuchungssystem. Ein gemeinsame Buchungsplattform lehnt die KBV zwar kategorisch ab, baut aber für den Fall der Fälle schon mal vor. Ihr Vorschlag: Die Kassen könnten ja ein zahlungspflichtiges Kontingent für Ihre Versicherten buchen. Jede Buchung würde dann eine Zahlung auslösen, egal ob der Patient erscheint. Ich muss zugeben: der letzte Vorschlag hat was. Ob die Kassen diesen Beitrag dann von den jeweiligen Versicherten wieder einholen werden. Wenn ja, wäre das tatsächlich ein Einstieg in ein Primärarztsystem, das funktionieren könnte …

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf 


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

 

Reference: Politik Nachrichten Praxis

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