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Kritik an Lauterbachs Gesetzentwurf reißt nicht ab – zahnärztliches Potenzial miteinbeziehen

(c) Neriza/Shutterstock.com

Nun doch: Mit einer Woche Verzögerung hat das Bundeskabinett am 28. August 2024 einen leicht überarbeiteten Entwurf vom „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG) verabschiedet. Damit ist ein weiteres der von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach gepushten Gesetzesvorhaben auf dem Weg ins Parlament. Die Kritik an diesem Gesetzentwurf kam von allen Seiten – und sie reißt auch jetzt nicht ab. Das Gesetz bedürfe insgesamt noch einer grundsätzlichen Überarbeitung, so die Bundeszahnärztekammer, und fasst damit zusammen, was Ärzte, Wissenschaftler und Krankenkassen konstatieren.

Der Minister rührte zur Kabinettssitzung groß die Medientrommel und beschwor unter anderem auf einer Pressekonferenz den Nutzen seiner Ideen: „Wir müssen die Gesundheit der Herzen besser schützen. Deutschland hat hier ein Problem – zu viele Herztote. Dafür sollten wir alle unseren Lebenswandel anpassen, uns mehr bewegen und bewusster ernähren. Genauso wichtig ist aber auch, dass wir vererbte Risikofaktoren früher erkennen und besser bekämpfen. Dafür schaffen wir mit dem Gesundes-Herz-Gesetz die Grundlagen. Mit diesem Gesetz können wir die Lebenserwartung und die Lebensqualität in Deutschland deutlich verbessern. Zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse sollte zudem die Möglichkeit mitbedacht werden, umfassender präventiv zu agieren und bestehende Strukturen effizienter mitzunutzen.“

Fokus immer noch auf Medikamenten statt Prävention

Ein kleiner Wandel ist darin schon versteckt – nach einer Studie des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sollten Kinder gezielt und nicht generell auf familiäre Hypercholesterinämie gescreent werden. Dennoch liegt der Fokus der von Lauterbachs Haus im Entwurf geplanten Maßnahmen nach wie vor auf dem Einsatz von Cholsterinsenkern (Statinen) auf Kassenkosten. Immerhin sollen die Grundlagen für den Einsatz der Präparate nicht mehr vom Bundesgesundheitsministerium, sondern vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt werden.

Die wichtigsten Gesetzesinhalte im Einzelnen (Quelle: BMG) 

  • Kinder und Jugendliche haben künftig einen Anspruch auf erweiterte Leistungen zur Früherkennung einer Fettstoffwechselerkrankung im Rahmen der Kinder- und Jugenduntersuchungen. Damit sollen insbesondere Kinder mit familiärer Hypercholesterinämie frühzeitig erkannt und behandelt werden. Diese angeborene, durch Lebensstiländerungen nicht ausreichend beeinflussbare Krankheit bedeutet ein sehr hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bereits im jungen Erwachsenenalter.
  • Um Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren gezielt zum Thema Herz-Kreislauf-Erkrankungen und möglichem Risikoverhalten anzusprechen, lädt die jeweilige Krankenkasse individuell zur Teilnahme an der Jugendgesundheitsuntersuchung J1 ein. Insgesamt sollen die Teilnahmeraten erhöht werden.
  • Für Erwachsene wird die bereits bestehende Gesundheitsuntersuchung durch die Einführung von Check-ups für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter von 25, 40 und 50 Jahren erweitert.
  • Gesetzlich Versicherte werden zu den Check-ups von ihrer jeweiligen Krankenkasse eingeladen und erhalten außerdem Gutscheine für eine erweiterte Beratung mit Messungen zu Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Apotheken.
    Apotheken werden verstärkt in die Beratung zur Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und tabakassoziierten Erkrankungen eingebunden. Für niedrigschwellige Beratungsangebote in Apotheken werden neue pharmazeutische Dienstleistungen etabliert.
  • In mehreren großen Studien wurde nachgewiesen, dass Lipidsenker (Arzneimittel bei Fettstoffwechselstörungen) in vielen Fällen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken und die Lebenserwartung verlängern können. Deshalb wird ein gesetzlicher Anspruch auf Versorgung mit Lipidsenkern geregelt. Lipidsenker können so frühzeitiger als zuvor und entsprechend dem individuellen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verordnet werden.
  • Arzneimittel zur Tabakentwöhnung können nachweislich die Erfolgsquote beim Verzicht auf das Rauchen steigern. Der Anspruch auf eine medikamentöse Therapie zur Tabakentwöhnung wird ausgeweitet. Er ist künftig nicht nur auf eine „schwere Tabakabhängigkeit“ beschränkt und wird häufiger als alle drei Jahre finanziert.
  • Die Erteilung einer ärztlichen Präventionsempfehlung zur Tabakentwöhnung und zum Ernährungsverhalten außerhalb der Gesundheitsuntersuchungen wird regelmäßig extrabudgetär vergütet. 


BZÄK erneuert Kritik am GHG

Die Bundeszahnärztekammer erneuerte ihre Kritik am Gesetzesvorhaben: „Wenn das BMG Vorsorge und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessern will, ist es wichtig, auch die Zahnmedizin zu inkludieren“, heißt es unter Verweis auf das „bereits seit Monaten im BMG“ liegende Positionspapier zum Gesetz.

Die BZÄK-Kritik macht sich an drei Punkten fest:

  1. Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden durch viele Faktoren begünstigt, ein wissenschaftlich belegter Risikofaktor ist Parodontitis. Sie erhöht das Risiko für Schlaganfälle oder Herzinfarkte signifikant. Diese Volkskrankheiten werden zu oft isoliert betrachtet. Es ist wichtig, dass Fachrichtungen zusammenarbeiten. Der bedeutende Risikofaktor der Parodontalerkrankungen muss in den Gesetzesentwurf aufgenommen und die Prävention und Behandlung dieser Erkrankungen ausreichend finanziert werden.
  2. Auch beim Punkt Tabakentwöhnung und Ernährung sollte die Zahnmedizin einbezogen werden, denn dies sind seit Jahren intensive Beratungspunkte in den Zahnarztpraxen. Die Zahnmedizin setzt sich schon lange verstärkt mit den Themen Rauchen und auch Ernährung auseinander, hat diverse fachliche Kooperationen und etliche Unterlagen und Leitfäden dazu. In beiden Themen ist die Zahnmedizin tief involviert. Hier dürfen nicht nur die Strukturen in der Gesetzlichen Krankenversicherung bedacht werden, auch in der PKV müssen diese Leistungen eine Rolle spielen und im Kontext einer GOZ-Novelle angepasst und entsprechend honoriert werden.
  3. Bei der Aufklärung über die Risiken des Rauchens und die Raucherentwöhnung sowie bei der Beratung zur Ernährung kann die Zahnärztin oder der Zahnarzt eine bedeutende Rolle spielen. Denn 72 Prozent der Erwachsenen gehen mindestens einmal pro Jahr zur zahnärztlichen Kontrolluntersuchung und durchschnittlich 90 Prozent gehen immer zum selben Zahnarzt. Dieses Vertrauensverhältnis bietet enorm gute Chancen, gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern.

 

Politik gefährdet Apotheken als Teil des GHG

Die Apotheker begrüßen zwar die mit dem Gesetz in den Apotheken möglichen niederschwelligen Beratungsangebote. Aber mit dem geplanten Apothekengesetz und anderen bestehenden Restriktionen werde es bald gar nicht mehr genug Apotheken geben, die diese Leistungen qualifiziert erbringen könnten, so Regina Overwiening, Präsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: „Klar ist aber, dass die Apotheken solche neuen Leistungen nur anbieten können, wenn dafür eine ausreichende Vergütung angesetzt ist. Dabei sind den Apotheken auch die Investitionskosten, die durch die Anschaffung der Messgeräte zu erwarten sind, zu erstatten. Bisher leiden die Apotheken aufgrund des seit elf Jahren bestehenden Honorar-Stillstands, des immensen Kostendrucks und des Personalmangels unter einer erheblichen Unterfinanzierung. In diesem Zusammenhang weisen wir erneut darauf hin, dass die im GHG vorgesehenen Präventionsleistungen in den Apotheken nur erbracht werden können, wenn das Bundesgesundheitsministerium (BMG) von seinen versorgungsfeindlichen Ideen in der geplanten Apothekenreform abrückt.“

Kassenärzten fehlt Präventionsgedanke

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung sieht gerade das Einbeziehen der Apotheken nach wie vor kritisch. Ihr fehlt zudem der Präventionsgedanke: „„Uns fehlt aber weiterhin eine konsequente Umsetzung des Präventionsgedankens, um bestimmten Risikofaktoren, wie zum Beispiel Rauchen, Bluthochdruck, Adipositas oder Bewegungsarmut, durch eine veränderte Lebensführung, Sport oder eine andere Ernährung zu begegnen. Primärprävention beginnt bereits mit Kampagnen in der Schule, umfasst gesellschaftliche Aufklärung und erwägt zum Beispiel Werbeverbote für oder hohe Steuern auf ungesunde Lebensmittel.“

G-BA sieht Medikamenteneinsatz kritisch

Auch der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Prof. Josef Hecken, begrüßt zwar das Einbeziehen des G-BA in das Gesetz („Die Gefahr, dass die Gesundheitsversorgung stärker in Richtung Staatsmedizin rückt, ist durch den neuen Entwurf zunächst einmal deutlich reduziert.“), sieht aber weiter Kritikpunkte: „Bedauerlich ist, dass der Kabinettsbeschluss der Primärprävention nicht die Bedeutung beimisst, die ihr zukommen sollte. Vielmehr sieht der Gesetzentwurf immer noch vor, dass die Krankenkassen ihre Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention zu Gunsten der Früherkennungsmaßnahmen umschichten sollen. Gerade bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann in vielen Fällen aber eine gesundheitsbewusstere Lebensgestaltung und Änderung des Lebensstils wesentlich effektiver sein, als die lebenslange Verabreichung von Medikamenten.“

GKV-SV sieht Präventionsstrukturen gefährdet

Das unterstreicht auch der GKV-Spitzenverband, dessen Verwaltungsrat das Gesetz ebenfalls kritisiert: Mit dem Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) verabschiede sich die Koalition von dem Leitgedanken der Prävention, Gesundheitsrisiken vorzubeugen und zu vermeiden. „Im Interesse von Beitragszahlenden und von Patientinnen und Patienten müssen Arzneimittel und Check-Ups ihre Wirksamkeit auch künftig wissenschaftlich nachweisen. Zudem werden mit dem Gesetzentwurf die über Jahre mit Beitragsgeldern der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgebauten Präventionsstrukturen in Deutschland gefährdet.“

„Ampel komplett auf dem Holzweg“

Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, wird da noch deutlicher. Die „Ampel ist komplett auf dem Holzweg“: „Statt neue Untersuchungen zur Früherkennung mit mangelhafter Evidenzbasis und fragwürdigem Nutzen zu schaffen, wertvolle Präventionsangebote zu zerstören und die Disease-Management-Programme als wirksamen Baustein zur Sekundärprävention zu gefährden, sollte die Ampel dieses Gesetz besser komplett einstampfen. Denn die im GHG vorgesehenen Maßnahmen verbessern nicht die Herzgesundheit, sondern verschärfen nur die ohnehin prekäre Finanzlage der GKV.“

Reimann kritisiert vor allem, dass Mittel für die Prävention nun für Medikamente umgeschichtet werden sollen und Mehrkosten „in beitragsrelevanter Höhe“ entstünden: Doch es bleibt dabei, dass Präventionsmittel in Millionenhöhe umgewidmet werden sollen, um Medikamente zur Tabakentwöhnung und flächendeckende Screenings zu finanzieren. Wenn diese Pläne tatsächlich umgesetzt werden, ist das bestehende Angebot von Präventions- und Gesundheitskursen der gesetzlichen Krankenkassen für Erwachsene, Kinder und Jugendliche akut gefährdet. Damit konterkariert das GHG die eigene Zielsetzung, die Herzgesundheit zu verbessern sowie Bewegung und gesunde Ernährung zu fördern. Statt die Präventionsgelder in fragwürdige Maßnahmen umzulenken, müssen bevölkerungsweite Maßnahmen zur Reduktion des Konsums von Tabak, Alkohol und Lebensmitteln mit zu viel Fett und zu viel Zucker ergriffen werden. Hier hinkt Deutschland im internationalen Vergleich meilenweit hinterher.“

Kein Einsparpotenzial, aber hohe Kosten und Überlastung der Praxen

Die AOK-Chefin verweist auf Berechnungen der AOK zu den hohen Kosten. Die im Kabinettsentwurf aufgeführten Einsparpotenziale seien „unseriös, da keine Wirksamkeitsbelege für die geplanten Maßnahmen vorliegen“. Vor allem die im GHG vorgesehene Ausweitung der Disease-Management-Programme auf Risikopatienten werde zu zusätzlichen Kosten in Milliardenhöhe führen.
„Laut unseren Schätzungen, die auf epidemiologischen Daten und den heutigen DMP-Kosten basieren, gehen wir bei der Öffnung der DMP für Risikopatienten nach einer Hochlaufphase von fünf Jahren von 34 Millionen zusätzlichen DMP-Teilnahmen mit Zusatzkosten für die GKV in Höhe von 3,8 Milliarden Euro im Jahr aus. Zudem droht eine Überlastung der Hausarztpraxen, die die aktuell gute Versorgung der derzeit rund 7,4 Millionen bereits in ein DMP eingeschriebenen chronisch kranken Versicherten akut gefährden würde“, so Reimann.

Dr. Marion Marschall, Berlin

 

 

Reference: Politik Interdisziplinär Zahnmedizin Nachrichten

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