Beschäftigte erfahren bei der Arbeit unterschiedliche Formen von Gewalt. Wie können sie sich auf solche Situationen vorbereiten und im besten Fall dazu beitragen, dass ein Konflikt nicht eskaliert und sie sicher und gesund eine gefährliche Situation überstehen? Die gesetzliche Unfallversicherung gibt Hinweise zum sicheren Verhalten.
Gewaltsituationen richtig einschätzen
Jede Situation ist anders und erfordert ein angepasstes Reagieren. Hilfreich für die Einschätzung von Gewaltsituationen ist die „Stufenpyramide zur Gewaltprävention“ (siehe unten). Sie gliedert Gewaltereignisse in vier Stufen und ordnet diesen Stufen entsprechende Präventionsmaßnahmen und Verhaltensempfehlungen zu. Die Pyramide hilft zu unterscheiden zwischen Situationen, in denen Deeskalation helfen kann und solchen, in denen die Eigensicherung im Vordergrund stehen muss.
Situation möglichst entschärfen
Konflikte können mit verbalen Angriffen oder Beleidigungen enden. Meist stehen die angreifenden Personen unter Stress. Sie sehen keine Alternative mehr, um aus dem Konflikt ohne Gesichtsverlust wieder herauszukommen. Hier ist es wichtig, die Situation möglichst zu entschärfen.
Der erste Schritt ist das Zuhören und Verstehen, um die Ursache für das aggressive Verhalten zu erkennen. Die Person sollte freundlich angesprochen und ihr ein Ausweg aus der Situation angeboten werden. Deeskalierendes Verhalten spielt vor allem in impulsiven verbalen Gewaltsituationen eine entscheidende Rolle. Es hat zum Ziel, die akute Gefahrenlage zu entschärfen und den Stress der Beteiligten zu senken.
Schutz der eigenen und anderer Personen
In Situationen mit körperlicher oder extremer Gewalt helfen Versuche der verbalen Deeskalation hingegen kaum mehr. Im Vordergrund steht hier der Schutz der eigenen und anderer Personen. „Gefahrensituationen können in vielen Fällen frühzeitig erkannt werden“, sagt Betty Willingstorfer, Leiterin des Sachgebiets Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt der DGUV. „Wir alle haben innere ,Antennen‘, die uns signalisieren, dass etwas nicht stimmt, zum Beispiel, wenn eine Person unruhig und getrieben wirkt. Dieses Gefühl ist ein wichtiger Indikator, um wachsam zu sein, Hilfe zu holen und sich selbst in Sicherheit zu bringen.“
Gewaltpyramide für ihre Gefährdungsbeurteilung nutzen
Betriebe können die Gewaltpyramide auch für ihre Gefährdungsbeurteilung nutzen. Mit Hilfe der Stufenpyramide sollten technische und organisatorische Maßnahmen vor, während und nach einem möglichen Gewaltereignis festgelegt werden. Ziel ist die grundsätzliche Verhinderung von Gewalt und die Sicherung der Beschäftigten.
Je nach Gewaltstufe sollten auch Verhaltensregeln mit den Beschäftigten besprochen und eingeübt werden. Auch Maßnahmen zur Unterstützung von Betroffenen nach einem Übergriff sollten im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festgelegt werden.
Tipps für ein sicheres Verhalten
Nachstehend einige Tipps für sicheres Verhalten nach dem Stufenmodell zur Gewaltprävention:
Stufe 1: Kleine Streitigkeiten, kontroverse Gesprächssituationen
- zuhören
- Verständnis zeigen
- Hintergründe erklären
- nach Lösungen suchen, Alternativen anbieten
- ruhig und freundlich im Gespräch bleiben
Stufe 2: Verbale Aggression, Sachbeschädigung, unangepasstes Sozialverhalten
- aufrechte, offene Haltung annehmen
- ruhig und besonnen bleiben, Äußerungen nicht persönlich nehmen
- selbstsicher kommunizieren und Grenzen setzen
- Aggressor/Aggressorin nicht provozieren oder anfassen
- Blickkontakt herstellen, im Gespräch bleiben; bei Bedarf dritte, neutrale Person zur Lösungsfindung hinzuziehen
Stufe 3: Handgreiflichkeiten, körperliche Gewalt
- Eigensicherung beachten
- sich bemerkbar machen, um Hilfe rufen
- andere Personen aus dem Umfeld um Unterstützung bitten
- der Person nicht den Rücken zukehren
- Fluchtwege ausfindig machen, gegebenenfalls fliehen, sich in Sicherheit bringen
- Polizei rufen
- gegebenenfalls Strafanzeige erstatten und Unfallanzeige stellen
- psychologische Erstbetreuung der Betroffenen sicherstellen
Stufe 4: Einsatz von Waffen, Geiselnahme, Überfall und Amok
- Eigensicherung beachten
- Ruhe bewahren und sachlich bleiben
- die Täterin beziehungsweise den Täter höflich behandeln und aufmerksam zuhören
- Abstand halten
- Anweisungen der Täterin beziehungsweise des Täters befolgen
- keinen Widerstand leisten, nicht widersprechen und provozieren
- keine Waffen oder ähnliches (zum Beispiel Pfefferspray) benutzen
- Hände gut sichtbar halten, um reflexartige Stresshandlungen der Täterin oder des Täters zu verhindern
- eigene Handlungen und Aktivitäten mit Worten beschreiben
- der Täterin beziehungsweise dem Täter immer einen Fluchtweg offenhalten
- wenn die Möglichkeit einer sicheren Flucht besteht, sich in Sicherheit bringen
- Strafanzeige erstatten und Unfallanzeige stellen
- psychologische Erstbetreuung der Betroffenen sicherstellen
Bei Überfällen:
- Ersatzware anbieten, wenn kein Geld vorhanden ist
- Überfallmeldeknopf erst nach Verschwinden der Täterin/des Täters benutzen
- nach Ende der Tat Polizei rufen
Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen unterstützen Betriebe bei Deeskalationsmaßnahmen und bieten Informationsmaterialien:
Prävention von und Umgang mit Übergriffen auf Einsatzkräfte der Rettungsdienste und der Feuerwehr
Überfällen vorbeugen – Überfälle unversehrt überstehen
Notfallpsychologie – Unterstützung durch kollegiale psychologische Erstbetreuung