Eine Amöbe spielt bei schweren Parodontitiden offensichtlich eine wichtige, das Krankheitsbild verschlechternde Rolle. Forschenden an der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist es erstmals gelungen nachzuweisen, dass ein im Mund häufig vorkommender einzelliger Parasit bei Gewebezerstörungen und starken Entzündungsreaktionen beteiligt ist.
Die Amöbe Entamoeba gingivalis besiedelt in hoher Anzahl die Mundhöhle der meisten Patienten mit schwerer Parodontitis. E. gingivalis ist eine Verwandte der im Darm die Amöbenruhr auslösenden Entamoeba histolytica und verhält sich ähnlich. Der Parasit dringt in das Zahnfleischgewebe ein, ernährt sich dort von Zellen – das Gewebe wird zerstört. Die Ergebnisse der Berliner Forschergruppe wurden im Journal of Dental Research veröffentlicht (Bao X et al. Entamoeba gingivalis causes oral inflammation and tissue destruction. J Dent Res (2020), DOI:10.1177/0022034520901738).
Häufigkeit steigt bei schwerer Parodontitis an
Während die bakterielle Vielfalt der Mundhöhle abnimmt, steigt die Häufigkeit von Entamoeba gingivalis bei einer schweren Parodontitis sehr stark an. Nun konnte das Team um Prof. Dr. Arne Schäfer – Leiter der Forschungsabteilung für Parodontologie am Institut für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Charité – zeigen, wie die orale Entzündung mit einer Kolonisierung der mundspezifischen Amöbe E. gingivalis einhergeht.
Einfluss auf das Entzündungsgeschehen
Das krankheitserregende Potenzial dieser Amöbengattung ist bereits durch die Darmamöbe E. histolytica gut bekannt. Diese verursacht die sogenannte Amöbenruhr, eine der weltweit häufigsten Todesursachen durch Parasiten. „Wir haben nachgewiesen, dass auch eine die Mundhöhle besiedelnde Amöbe wie E. gingivalis in die Schleimhaut eindringt und dort das Gewebe zerstört. In der Folge können vermehrt Bakterien eintreten und die Entzündung und Gewebezerstörung weiter verstärken“, sagt Prof. Schäfer. Wie genau die Amöbe E. gingivalis zum Entzündungsgeschehen beiträgt, hat das internationale Forschungsteam nun erstmals beschrieben.
Vorkommen bei 80 Prozent der Parodontitispatienten
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten entzündete Zahnfleischtaschen und fanden die Amöben bei etwa 80 Prozent der Patienten, aber nur bei 15 Prozent der gesunden Probanden. Sie konnten beobachten, dass die Parasiten in das Zahnfleisch eindringen, sich dort fortbewegen und die Wirtszellen töten, indem sie den Inhalt der Zellen in sich aufnehmen. Zellkulturexperimente zeigten zudem, dass eine Infektion mit E. gingivalis das Wachstum von Zellen verlangsamt und schließlich zum Zelltod führt.
Parallelen zur Amöbenruhr
Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Rolle der Amöben während des Entzündungsprozesses deutliche Parallelen zur Entstehung einer Amöbenruhr aufweist. „E. gingivalis trägt im Zahnfleisch aktiv zur Gewebszerstörung bei und aktiviert dieselben Abwehrmechanismen des menschlichen Wirtes wie E. histolytica während der Invasion in die Darmschleimhaut“, erklärt Schäfer. „Der durch einfache Tröpfcheninfektion übertragbare Parasit ist somit ein möglicher Verursacher schwerwiegender oraler Entzündungskrankheiten.“
Klinische Studie soll klären, ob Eliminierung Behandlungserfolg verbessert
Oft sind die Heilungserfolge der Parodontitis nur von geringer Dauer. Ursache könnte das hohe krankheitserregende Potenzial dieser bisher unbeachtet gebliebenen, aber äußerst häufigen Amöbe sein. „Wir haben einen infektiösen Parasiten identifiziert, dessen Beseitigung die Behandlung schwerer Entzündungen des Zahnfleisches gezielt und möglicherweise langfristig verbessern könnte“, resümiert Schäfer. „Bislang werden weder die Infektion noch die erfolgreiche Eliminierung dieses Parasiten in der Therapie einer Parodontitis berücksichtigt.“
Aktuell soll eine klinische Studie klären, in welchem Umfang die Parodontitis durch eine Beseitigung der Amöben besser behandelt werden kann. Einen in der Breite verfügbaren Test auf diesen Parasiten gibt es bislang noch nicht, so Schäfer auf Nachfrage von Quintessence News. Es seien aber solche Tests parallel zu den klinischen Tests in Entwicklung. Für die bisherigen Arbeiten ist der Nachweis von E. gingivalis über Polymerasekettenreaktionen und Mikroskopie geführt worden. Auf die Frage zum Vorgehen in der klinischen Studie erklärt Schäfer: „Wir verwenden bei schwerer Gingivitis eine professionelle Zahnreinigung durch Dentalhygieniker. Bei einer Parodontitis die übliche Reinigung im Verlauf einer Unterstützenden Parodontaltherapie. Wir prüfen dann, ob durch diese Behandlungsmethoden die Eliminierung von E. gingivalis gelingt und wie eine erfolgreiche Beseitung von E. gingivalis mit dem Behandlungserfolg korreliert.“
Aktualisiert am 16. April um 10.50 Uhr um die Aussagen von Prof. Schäfer zum Test und zur klinischen Studie. -Red.