Ab Mitte Januar nächsten Jahres soll die elektronische Patientenakte (ePA) zunächst in Modellregionen getestet und nach den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) dann ab 15. Februar 2025 bundesweit eingeführt werden. Auf einer Pressekonferenz am 30. September zum Start der Infokampagne bekräftigte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach die Einführungstermine und auch die mit vier bis sechs Wochen in den zwei Testregionen Hamburg und Franken sehr kurze Testphase für die neue „ePA für alle“.
Die Krankenkassen haben parallel ihre Information der Versicherten gestartet und schreiben jetzt alle Mitglieder zur „ePA für alle“ an. Nachdem einige Kassenschreiben auch bei Ärzten angekommen sind, befürchten diese, von ihren Patientinnen und Patienten angesichts der zum Teil vollmundigen Ankündigungen der Kassen mit Forderungen zur ePA konfrontiert zu werden, die aufgrund der wenigen, zu Beginn möglichen Inhalte gar nicht erfüllt werden können.
Viele Anwendungen und Inhalte erst später verfügbar
So sind viele der auch von Bundesgesundheitsminister Lauterbach angekündigten Inhalte zu Beginn noch nicht oder nur mit einem offenen Zeithorizont für die ePA möglich. Denn gestartet wird – so ist es auch auf dem Zeitstrahl der offiziellen Info-Seite zunächst mit der Medikationsliste und den aktuellen Arzt- und Befundberichten. Erst Mitte des Jahres soll dann der sogenannte digitale Medikationsprozess starten, Laborbefunde wird es voraussichtlich erst ab 2026 in der ePA geben.
Wann weitere sinnvolle Anwendungen wie digitale Impfnachweise eingebunden werden können, ist noch offen. Das bereits als Medizinisches Informationsobjekt (MIO) vorliegende digitale Bonusheft beim Zahnarzt soll in die neue ePA schon eingepflegt werden können.
KBV stellt umfangreiche Informationen bereit
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat bereits umfangreiche Informationsmaterialien und Infoseiten für die Kassenärzteschaft und die Psychotherapeutinnen und -therapeuten zur ePA zusammengestellt, auch eine Infoveranstaltung mit der Gematik hat bereits stattgefunden. Dennoch warnt die KBV vor zu großen Erwartungen.
Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des KBV-Vorstands, erklärte dazu unter anderem in einem Videostatement: „Wir bereiten die Praxen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen umfassend auf die ePA vor. Natürlich wollen wir, dass die ePA ein Erfolg wird – denn sie bietet im Idealfall viele Chancen. Allerdings reden wir derzeit noch über ein Produkt, das wir nicht kennen mit vielen Unbekannten“. Die Einführung der ePA müsse das Ergebnis einer „Mannschaftsleistung“ sein. Alle Beteiligten – auch Krankenkassen, Ministerium und Gematik – müssten ihre Aufgaben erfüllen. Geschehe das rechtzeitig und planmäßig, könne die Einführung der ePA erfolgreich gelingen.
Umsetzung in den PVS noch offen
Steiner: „Unsere Anforderungen haben wir früh formuliert – und vieles hat die Gematik auch aufgegriffen. Sorgen bereitet uns die Tatsache, dass eine Erprobungsphase von lediglich vier Wochen in den Modellregionen vorgesehen ist. In dieser kurzen Zeit müssen Fehler erkannt und behoben werden. Das ist aus unserer Sicht eine große Herausforderung. Wir sind zudem gespannt auf die Umsetzung durch die Anbieter der über 100 Praxisverwaltungs-Software-Programme (PVS). Erst wenn alle Programme „ePA-fit“ sind, ist den Praxen jeweils die Nutzung der ePA auch möglich“, erklärte sie.
Kassen müssen sachgerecht informieren
Zudem liege vieles nicht in der Hand der Praxen. „Wir müssen uns hier auf das BMG und die Gematik verlassen können, dass sie die notwendigen und richtigen Rückschlüsse aus der Testphase ziehen. Zugleich fordern wir die gesetzlichen Krankenkassen auf, ihre Versicherten umfassend und vor allem sachgerecht über die ePA zu informieren, um keine unrealistischen Erwartungen zu wecken. Es kann nicht sein, dass die Aufklärungsarbeit am Ende in den Praxen hängenbleibt.“
KZBV stellt Infos zur Verfügung – Befüllen ist Pflicht
Auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) hat eine Informationsseite zur ePA für Zahnarztpraxen bereitgestellt. Ein Webinar mit der Gematik fand ebenfalls schon am 11. September 2024 statt, allerdings blieben viele Aussagen noch sehr vage. Die Praxen bekommen das Befüllen der ePA aber vergütet. „Für die Aktualisierung der ePA, beispielsweise durch Eintragung eines eZahnbonusheft-Eintrags, kann die Bema-Position ePA2 abgerechnet werden. Für die sogenannte Erstbefüllung, also eine Eintragung in eine Akte, in die bisher keine andere Praxis etwas eingestellt hat, kann alternativ die BEMA-Position ePA1 abgerechnet werden“, heißt es auf der KZBV-Infoseite.
Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte sind verpflichtet, die ePA zu befüllen, wenn der Patient diese nutzt. „Das Befüllen der ePA muss nicht zwingend durch eine Zahnärztin oder einen Zahnarzt erfolgen, die Aufgabe kann auch an das Praxispersonal delegiert werden“, heißt es.
Auch vonseiten der Gematik gibt es eine Informationsseite mit einer ganzen Reihe von Informationsmaterialien und Info-Filme sowohl für Fachpersonal als auch für Versicherte, inklusive Klickdummy.
Zahnärzteschaft übt Kritik an unausgereifter Digitalisierung
Kritik an der ePA als einer neuen unausgereiften Anwendung und an der unzureichenden Vorbereitung gibt es auch vonseiten der Zahnärzteschaft. Kammer und Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe hatten für den 25. September 2024 zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, auf der die Bedenken deutlich formuliert wurden. Die KZVWL hatte sich schon eine Woche zuvor beim jetzigen Stand der Vorbereitungen gegen die „ePA für alle“ positioniert.
Kelber übt Kritik am Datenschutzniveau
Der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Prof. Ulrich Kelber, erklärte in einem Videostatement (abzurufen über den LinkedIn-Auftritt der KZVWL), er halte eine elektronische Patientenakte für ein Muss, er möchte eine haben und auch alle seine Daten für alle seine Ärzte freigeben. Seine Kritik richte sich an die Mängel beim Datenschutz und der Datensicherheit. Es würden zu viele Daten automatisch in der ePA gespeichert und flössen von dort in das Forschungsdatenzentrum, auch sehr sensible. „Das hätte man so nicht tun müssen“, so Kelber. Und es fehlten grundlegende Funktionalitäten an der ePA. Ärzte könnten nicht einmal festlegen, was sie bei Diagnosestellung gesehen haben. Damit sei die ePA nicht revisionssicher. „Das ist zu wenig, das ist falsch“, so Kelber.
Neues Bündnis mit „Widerspruchsgenerator“
Diese Sorgen treiben auch ein neues „Bündnis gegen die ePA“ um, das sich auf seiner eigenen Website „Widerspruch gegen die elektronische Patientenakte (ePA)“ sogar mit einem „Widerspruchsgenerator“ präsentiert. (Bei einigen Krankenkassen erhalten die Versicherten allerdings ein Schreiben, mit dem sie über einen Zugangslink und ein Einmalpasswort der Anlage einer ePA widersprechen können.) Zu den Bündnispartnern gehören unter anderem die Freie Ärzteschaft, die IG Med, die AG Soziale Sicherungssysteme aus dem Attac-Netzwerk, verschiedene kleinere Ärzteverbände und Datenschutzinitiativen. Ziel ist es, die Versicherten zu informieren und ihnen eine „informierte Entscheidung“ über den Umgang mit ihren Daten zu ermöglichen. „Die ePA wird als wichtiges Instrument zur Verbesserung der medizinischen Versorgung beworben. Sie hat aber mehrere gravierende Schwächen, die aus unserer Sicht einen Widerspruch notwendig machen, um die äußerst sensiblen persönlichen medizinischen Daten zu schützen“, heißt es.
Podiumsdiskussion auf der FVDZ-Hauptversammlung in Kassel
Am Donnerstag dieser Woche (10. Oktober 2024) beginnt die diesjährige Hauptversammlung des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte (FVDZ) in Kassel. Schwerpunktthema ist diesmal die Digitalisierung, auch die ePA steht im Fokus. Zum Auftakt sind Impulsreferate und eine Podiumsdiskussion unter anderem mit der neuen Bundesdatenschutzbeauftragten Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider geplant, die ihr Amt am 3. September 2024 angetreten hat.
Dr. Marion Marschall, Berlin
Lesen Sie dazu auch den Kommentar „Der ePA bei allen Bedenken eine Chance geben“.