Am 6. März 2024 standen zwei Verfahren zur Telematikinfrastruktur (TI) auf der Tagesordnung des höchsten deutschen Sozialgerichts. Der 6. Senat des Bundessozialgerichts in Kassel sollte sich mit den Honorarkürzungen für eine ärztliche Praxis wegen Nichtanbindung an die Telematikinfrastruktur und der Erstattung der Betriebskosten der TI für eine Kinderarztpraxis befassen. Erfolgreich waren die Kläger aber nicht. Der Kläger zum Thema Betriebskosten zog die Klage zurück. Die Revisionsklage wegen der Honorarkürzungen wurde von den Kasseler Richtern abgewiesen.
„Die Honorarkürzung für das Quartal 1/2019 erfolgte zu Recht. Die Verpflichtung der Klägerin zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur stellte in der Anfang 2019 geltenden Ausgestaltung des Regelungskonzepts keinen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre ärztliche Berufsfreiheit dar“, heißt es im Terminbericht des BSG. Damit folgt das Gericht seiner bisherigen Rechtsprechung und den Entscheidungen der Sozialgerichtsbarkeit, die bislang stets eine Rechtmäßigkeit der Honorarkürzungen für Vertrags(zahn)ärzte bei Nichtanbindung an die TI/bewusster Nicht-Nutzung von gesetzlich verpflichtenden TI-Anwendungen bejaht hat.
Keine Verstöße gegen die DSGVO
Die Klägerin hatte für ihre Weigerung, die Praxis für den Versichertenstammdatenabgleich (Versichertenstammdatenmanagement – VSDM) an die TI anzuschließen, unter anderem vorgebracht, dass sie mit einer Anbindung bis Oktober 2020 gegen die Datenschutzgrundverordnung hätte verstoßen müssen. Dem widersprachen die Kasseler Richter. Im Terminbericht heißt es dazu: „Die Datenverarbeitung durch Vertragsärzte bei Durchführung des Versichertenstammdatenabgleichs entspricht den besonderen Anforderungen an die Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Gesundheitsbereich. Sie ist durch hinreichende Ermächtigungsgrundlagen insbesondere in Artikel 9 und 6 Datenschutz-Grundverordnung in Verbindung mit §§ 1, 22 Bundesdatenschutzgesetz und §§ 291 ff. SGB V gedeckt.“
Datensicherheit auch 2019 schon ausreichend
Auch den Verweis auf europäisches Recht ließen die Richter nicht gelten: „Bereits Anfang 2019 entsprach das Normkonzept des SGB V den Vorgaben aus dem europäischen Recht zur Gewährleistung einer ausreichenden Datensicherheit. Es wies keine solche systemischen Mängel auf, die ärztliche Leistungserbringer von der Verpflichtung zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur hätten freistellen können. Eine vorherige Datenschutz-Folgenabschätzung war für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung nicht zwingend erforderlich. Die Verantwortlichkeit für den Bereich der dezentralen Telematikinfrastruktur-Komponenten lag nach der Datenschutz-Grundverordnung auch ohne gesonderte nationale Regelung im Quartal 1/2019 bei den Vertragsärzten.“
Kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit
Die Verpflichtung der Klägerin zur Durchführung des Versichertenstammdatenabgleichs diene dem legitimen Zweck, Leistungsmissbrauch durch die Identifizierung ungültiger, verlorener oder gestohlen gemeldeter elektronischer Gesundheitskarten zu verhindern, und sei verhältnismäßig, so der Senat. „Auch die mit der Nichtbefolgung der Verpflichtung verknüpfte Honorarkürzung stellt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Klägerin dar. Der Senat konnte dabei offenlassen, ob neben dem Schutz des Grundgesetzes auch die Grundrechtecharta der Europäischen Union greift, da bei Anwendung der jeweiligen Grundrechte hier kein unterschiedliches Schutzniveau besteht.“
Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) kommentierte das so: „Honorarkürzungen für TI-Verweigerer sind rechtens“. Die Verhandlung sei mit Spannung erwartet worden, da die Entscheidung „Signalwirkung für alle Praxisinhaber hat, die bisher den Anschluss an die TI verweigern“.
FVDZ: Honorarkürzung kein probates Mittel
„Wir können nur auch allen niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzten empfehlen, sich an die TI anzuschließen“, sagte Dr. Christian Öttl, Bundesvorsitzender des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ), nach den ersten Verlautbarungen aus dem Gerichtssaal. „Die Honorarkürzung als Sanktionsmittel gegen die Praxen sehen wir allerdings weiterhin nicht als probates Mittel, um Ärztinnen und Ärzte von der TI-Anbindung zu überzeugen.“
Dass der Gesetzgeber mit Sanktionen die Anbindung an die TI zu erzwingen will, ist für den FVDZ-Bundesvorsitzenden das eigentliche Problem. Wenn die niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte von Sinn, Zweck und Nutzen der TI überzeugt gewesen wären, hätte sich niemand verweigert.
Unding, das Datenschutz auf die Praxen abgewälzt wird
„Es ist immer sinnvoller, Überzeugungen und Anreize zu schaffen, als etwas zu verordnen, das viel Geld kostet und dessen Nutzen für die Praxen völlig unklar bleibt“, sagt Öttl. Dass die gesamte Datenschutzverantwortung auf die Ärzte und Zahnärzte in ihren Praxen abgewälzt wird, hält er für ein Unding, ebenso dass die Kosten für den Betrieb der TI allein durch die Praxen gestemmt werden müssen. „Die TI-Pauschale, die von den Krankenkassen gezahlt wird, deckt das alles nur in geringem Maße ab.“ Leider sei der Revisionsantrag eines Klägers zur Erstattung der Betriebskosten der TI-Anbindung zurückgezogen worden.