Noch vor kurzem hatte die Gematik mit Gegenwind der Minderheitsgesellschafter zu tun, was die Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur (TI) und das dazu gewählte Vorgehen betrifft – es gab Ärger um das Whitepaper „TI 2.0 – Arena für digitale Medizin“. Dieses Paper war jetzt Grundlage einer nicht öffentlichen Runde „TI Future Summit“ mit Experten und Gesellschaftern am 10. März 2021.
„Mit unserem Whitepaper haben wir einen gemeinsamen, strukturierten Dialog gestartet – mit unseren Gesellschaftern, aber auch mit allen Experten und Gestaltern, die die Digitalisierung voranbringen wollen“, betonte Dr. Markus Leyck Dieken beim „TI Future Summit“. Die virtuelle Runde sei der Startschuss für einen breit angelegten öffentlichen Austausch, der bis zum Sommer weitergeführt werden solle. „Wir möchten bestmögliche Lösungen für die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland finden, die alle überzeugen. Das geht nur gemeinsam. Deshalb laden wir alle ein, an der Ausarbeitung des Whitepapers mitzuwirken“, so Leyck Dieken. Für Mitte des Jahres ist eine Machbarkeitsstudie geplant, anschließend soll ein konkreter Umsetzungsplan vorgestellt werden, so die Gematik in einer anschließenden Presseerklärung.
Whitepaper sorgt für Verunsicherung bei TI-Anwendern
Das laut Kritik ohne Abstimmung mit den Gesellschaftern der Leistungserbringer – unter anderem Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, GKV-Spitzenverband, Bundesärzte- und Bundeszahnärztekammer etc. – Ende Januar veröffentlichte Papier hatte bei den TI-Anwendern in den Arzt- und Zahnarztpraxen für Verunsicherung gesorgt. Unter anderem waren die gerade in den Praxen installierten TI-Konnektoren als künftig obsolet bezeichnet worden, sie sollten durch Softwarelösungen wie den „Zukunftskonnektor“ ersetzt werden. Dies habe die mühsam aufgebaute Akzeptanz für die TI stark beschädigt, so die Kritik im Brief der Gesellschafter, die seit 2019 laut Neuregelungen im TSVG nur noch 49 Prozent in der Gematik halten.
Gematik sieht sich auf dem Weg zur „Nationalen Agentur für Digitale Medizin“
Das Bundesgesundheitsministerium hält die Mehrheit von 51 Prozent und hat mit Dr. Markus Leyck Dieken einen neuen Alleingeschäftsführer der Gematik eingesetzt. Der studierte Mediziner und Internist gilt als Spezialist für IT im Gesundheitsbereich und bringt Erfahrungen aus der Pharmaindustrie mit. Er vertritt die Gematik und die TI-Weiterentwicklung sehr offensiv nach außen, die sich von einer „reinen Betreibergesellschaft“ zu einer „Nationalen Agentur für Digitale Medizin“, wandele, wie es in der Eigendarstellung der Gesellschaft heißt.
Aussagen zur TI-Hardware relativiert
Zum Kritikthema TI-Hardware relativierte er jetzt: Die Konzeptskizzen und Ideen des Whitepapers hätten einen Fünf-Jahres-Horizont und müssten schrittweise entwickelt werden. „Deshalb werden Karten wie der eHBA auch nicht abgelöst oder überflüssig – im Gegenteil: Für Anwendungen wie E-Rezept und E-Arztbrief wird der eHBA auf jeden Fall gebraucht. Die jetzt investierten Komponenten werden über die Dauer ihres Lebenszyklus ihren wichtigen Dienst tun und sind daher sinnvoll“, sagt er in der offiziellen Pressemitteilung der Gesellschaft. Der Zukunftskonnektor ist allerdings, wie interoperable TI-Schnittstellen und das elektronische Identifikationsmanagement aus dem Whitepaper, schon Teil des neuen Digitale–Versorgung–und–Pflege–Modernisierungs–Gesetzes (DVPMG), das spätestens im Juni 2021 in Kraft treten soll.
Whitepaper als Ausgangspunkt für Expertenrunde
Virtuell diskutierten beim „TI Future Summit“ Teilnehmende unter anderem von Krankenkassen und Standardisierungsorganisationen, aus Krankenhäusern, Politik, Forschung und Industrie, von Patientenvertretungen sowie niedergelassene Ärzte und Apotheker die Weiterentwicklung und Neukonzeption der Telematikinfrastruktur (TI). Ausgangspunkt war das „Whitepaper TI 2.0 - Arena für digitale Medizin“.
Prof. Dr. Erwin Böttinger, Leiter Digital Health Center am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam und am Mount Sinai Health System in New York City, habe die Veröffentlichung des Whitepapers begrüßt, heißt es in der Pressemeldung zum Event: „Mit der Vorstellung zur TI 2.0 kann die Gematik im Gesundheitsbereich Weichen stellen – hin zu einer patientenzentrierten und personalisierten Medizin. TI 2.0 eröffnet bisher ungeahnte Möglichkeiten für Prädiktion und Prävention durch Einbindung digitaler, KI-getriebener Gesundheitsdienste, die erstmals ganz neue Daten für unsere Gesundheit mit medizinischen Daten zusammenführen werden.“
„Immenser Nutzen“ für Gesellschaft und Gesundheit
Dass dieser Prozess nur gelingt, wenn alle Beteiligten zusammen Lösungen entwickeln, darin seien sich alle einig gewesen. Und auch darin, dass die Digitalisierung vorangetrieben werden müsse, weil sie einen immensen Nutzen für Gesellschaft und Gesundheit bietet. Das unterstrich auch Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité: „Digitalisierung ist Herausforderung und Lösung zugleich. Wenn wir die sich demographisch wandelnde Bevölkerung weiter erfolgreich medizinisch versorgen wollen, wird es gar keinen anderen Weg geben, als das System wirklich konsequent zu digitalisieren. Letztendlich werden alle Bereiche, die tragend sind für eine universitäre Medizin, nämlich die Krankenversorgung, die Forschung und auch die Lehre und Ausbildung, ganz massiv von Digitalisierung profitieren.“
TI 2.0 als zentrales Element
Das „Whitepaper TI 2.0 – Arena für digitale Medizin“ stelle die Telematikinfrastruktur als zentrales, sicheres, verbindendes Netz als grundlegender Faktor in den Mittelpunkt der Weiterentwicklung der Digitalisierung im Gesundheitswesen, so die Gematik. „Alle weiteren Schritte zum Fortschritt in der digitalen Medizin und einer digital unterstützten Gesundheitsversorgung hängen von ihr als leistungsstarkem, technologisch zeitgemäßen Bindeglied ab. Dafür muss die TI ‚upgedatet‘ werden zur TI 2.0 und dabei einen neuen, erweiterten und veränderten, den jetzigen und künftigen Anforderungen genügenden Auftrag an Vernetzung im digitalisierten Gesundheitssystem erfüllen können: als Arena für digitale Medizin, die sowohl national als auch grenzüberschreitend anschlussfähig ist für alle, die an der Digitalisierung mitwirken wollen und sich dabei an die ‚Spielregeln‘ halten“, heißt es vonseiten der Gematik. Sie selbst wandele sich in diesem Kontext ebenfalls: Von der reinen Betreibergesellschaft der Telematikinfrastruktur werde sie nun zur „Nationalen Agentur für Digitale Medizin“.