Mittlerweile sind mehr als 9 Jahre vergangen, seit die jüngste Generation biokeramischer Sealer in Deutschland auf den Markt gekommen ist. Der Beitrag von Dr. Jürgen Wollner für die Quintessenz Zahnmedizin 5/21 gibt ein Update zu diesen in der Endodontie verwendeten biokeramischen Materialien. Es werden die Entwicklungen der vergangenen 25 Jahre genauso aufgezeigt wie die aktuellen Studien der sowohl in der ortho- wie auch retrograden Wurzelkanalbehandlung eingesetzten Materialien. Eine Auflistung der am Markt erhältlichen Produkte sowie klinische Fälle, bei welchen biokeramische Sealer (TotalFill BC Sealer) eingesetzt wurden, sollen den erfolgreichen Einsatz dieser Materialien bestätigen.
Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.
Einleitung
Seit mehr als 200 Jahren beschäftigt sich die Forschung mit dem „Inneren“ des Zahnes, der Endodontologie. Auf die Tätigkeiten von Louis I. Grossman in Philadelphia und seinen Nachfolgern – Leif Tronstad und Syngcuk Kim – am nach ihm benannten Lehrstuhl ist der Weltruhm Philadelphias und sein großer Einfluss auf die Entwicklung der Endodontie über nahezu zwei Jahrhunderte zurückzuführen, obwohl erste Versuche noch weiter zurückgehen.
Diese Pionierarbeit, fortgeführt von Syngcuk Kim, dem Direktor des Department of Endodontics der University of Pennsylvania, hat in den vergangenen 25 Jahren enorme Verbesserungen mit sich gebracht, welche durch die Einführung des Operationsmikroskops, der maschinellen Aufbereitung mit flexiblen Feilensystemen, elektrometrischen Längenbestimmung, ultraschallaktivierten Spülung und thermoplastischen Wurzelfülltechniken zu deutlich verbesserten Erfolgsprognosen geführt haben. Nur die Materialien der Obturation haben sich in dieser Zeit nur unwesentlich verändert. Ziel der wissenschaftlichen Forschung der vergangenen Jahrzehnte und der Wunsch der Praktiker war es, einen Werkstoff zu entwickeln, der die Limitationen der herkömmlichen Wurzelkanalfüllungsmaterialien überwinden kann. Er sollte feuchtigkeitsverträglich, antibakteriell, aber gleichzeitig biokompatibel sein und zusätzlich noch keine oder eine möglichst kleine Schrumpfung aufweisen.
Der erste biokeramische Werkstoff in der Endodontie, der diese Eigenschaften erfüllen konnte, war das in den 1990er-Jahren entwickelte „Mineral trioxid aggregat“ (MTA). Es handelt sich hierbei um einen modifizierten hochreinen Portlandzement. Im Gegensatz zum herkömmlichen Portlandzement ist MTA frei von Schwermetallen und Arsen21. Die Anwendung in der Zahnheilkunde, insbesondere in der Endodontie, wurde zum ersten Mal 1993 von einer Forschungsgruppe an der Universität von Loma Linda unter der Leitung von Mahmoud Torabinejad dokumentiert und publiziert19,20. Die Hauptbestandteile von MTA sind Calciumsilikat, Tricalciumaluminat und Calciumsulfat. Zur Erhöhung der Röntgenopazität wird Bismutoxid hinzugefügt. 1998 wurde ProRoot MTA (Dentsply Tulsa Dental, USA) als erstes Produkt für dentale Zwecke auf dem amerikanischen Markt zugelassen. Dieses MTA war grau (GMTA) und enthielt noch zusätzlich Tetracalciumaluminatferrit. Seit 2002 gibt es MTA in der von Eisenoxid bereinigten Form als weißes MTA (WMTA). Das Eisenoxid war verantwortlich für die manchmal ästhetisch ungünstigen Verfärbungen1. MTA wurde aufgrund seiner schwierigen Verarbeitungseigenschaften weniger zur orthograden Wurzelkanalfüllung, sondern hauptsächlich als retrogrades Füllmaterial in der apikalen Chirurgie, zur Perforationsdeckung, zur direkten Überkappung und bei der Apexifikation verwendet.
2007 entwickelte die kanadische Firma Innovative BioCeramics (IBC, Kanada) den ersten vorgemischten und gebrauchsfertigen Sealer (iRoot SP). Bereits 2008 kam durch die US-amerikanische Firma Brasseler USA (BUSA, USA) ein in der Zusammensetzung sehr ähnliches Produkt auf den Markt, welches unter den Produktnamen EndoSequence und TotalFill BC Sealer (FKG Dentaire SA, Schweiz und American Dental Systems, Vaterstetten) seit 2013 auch in Deutschland erhältlich ist.
Wie intensiv in diesem Bereich geforscht wird, kann man anhand der Anzahl der Studien gut verdeutlichen. Während bis 2016 bereits ca. 1.800 Studien über MTA veröffentlicht wurden, sind es heute mehr als 10.500. Für gebrauchsfertige biokeramische Sealer stieg die Zahl der Studien im gleichen Zeitraum von ca. 50 auf 250 Veröffentlichungen.
Eigenschaften
Die in den Studien untersuchten wichtigen Eigenschaften der Materialien sind Bioaktivität, Biokompatibilität und Zytotoxizität, pH-Wert und antibakterieller Effekt, Dichtigkeit/Schrumpfung und Revidierbarkeit. Die biokeramischen Materialien sind weitgehend feuchtigkeitsunempfindlich. In Penetrationstests konnte eine gute Randdichtigkeit, welche im Vergleich zu alternativen Materialien mindestens gleichwertig war, festgestellt werden1. Verschiedene Studien finden für MTA sogar überlegene Werte8. Eine Dissertation aus dem Jahr 2018 bescheinigt BC Sealer signifikant größere Eindringtiefen in die Dentintubuli im Vergleich zu AH Plus (Dentsply Sirona, Bensheim), ProRoot MTA (Dentsply Tulsa Dental) und Medcem MTA (Medcem, Österreich)9. Biokeramische Sealer haben eine gute Füllungsqualität und eine unabhängig von der Obturationstechnik bessere Penetration in die Dentintubuli , verglichen mit herkömmlichen Sealern22.
Die Biokompatibilität von MTA ist gut untersucht: Es induziert eine Wurzelzementneubildung an der Oberfläche zum Parodont und ist damit in seiner Produktklasse einzigartig7,21. Biokeramische Sealer sind signifikant biokompatibler als herkömmliche Sealer und fördern die Differenzierung der Osteoblasten11. Eine Anlagerung von für die Wundheilung notwendigen Zellen wird gefördert27. In zahlreichen Studien zeigt sich die Bioaktivität der biokeramischen Materialien. Das bedeutet, dass eine positive Wirkung auf zelluläre Interaktionen eintritt26. Es kommt zur Präzipitation von Hydroxylapatit-Strukturen, die sich mit der Zeit vermehren18. Auf der Oberfläche der biokeramischen Sealer zeigen humane Pulpazellen eine optimale Proliferation und Mineralisation14,24.
Es konnte eine geringere Toxizität als bei herkömmlichen Sealern festgestellt werden. AH Plus war signifikant höher toxisch als BC Sealer und MTA3,15,27. In der apikalen Chirurgie erfreuen sich Silberamalgam und SuperEBA (Keystone Industries, Singen) ungebrochen hoher Beliebtheit für die retrograde Wurzelfüllung, obwohl die Überlegenheit des MTA hinsichtlich Biokompatibilität, geringerer inflammatorischer Reaktion und Dichtigkeit hinreichend belegt ist2. Im direkten Vergleich für die Indikation als retrogrades Füllmaterial zeigten MTA und BC Sealer ähnlich gute Eigenschaften6.
Biokeramische Materialien haben während des Abbindens einen hohen pH-Wert und damit eine gute antibakterielle Wirkung28. Der pH-Wert ist signifikant höher als bei AH Plus und bleibt auch über einen längeren Zeitraum im alkalischen Bereich, was wiederum die Elimination von Bakterien wie Enterococcus faecalis fördert4,5,23,28.
Die Schrumpfung des Sealers war schon immer ein wichtiger Faktor in Bezug auf die Dichtigkeit einer Wurzelfüllung. Daraus resultierte die Entwicklung verschiedener Wurzelfülltechniken wie laterale Kondensation und thermoplastische Techniken, um diesen Effekt zu kompensieren. BC Sealer hingegen weist keine Volumenschrumpfungen in der Abbindephase auf (Abb. 1). In einigen Untersuchungen konnte kein signifikanter Unterschied im Vergleich zwischen biokeramischem Sealer mit Einstifttechnik und AH Plus mit thermoplastischer Fülltechnik festgestellt werden17,25.
Die neuen biokeramischen Sealer versiegeln den Wurzelkanal zwar besser als herkömmliche, aber auch hier können Undichtigkeiten nicht vollständig verhindert werden16. Das Revisionsverhalten ist eine häufig untersuchte Eigenschaft von Sealern. BC Sealer kann bei der endodontischen Revision nicht immer vollständig entfernt werden, in 20 Prozent der Fälle konnte keine apikale Durchgängigkeit („Patency“) erreicht werden10. Bis dato ist kein Lösungsmittel für BC Sealer bekannt. Handfeilen und rotierende Revisionsfeilen können biokeramische Sealer nicht immer vollständig entfernen, dies gilt aber auch für andere herkömmliche Sealer12. Es konnten teilweise aber auch Arbeitslänge und Patency erreicht werden, ohne dass signifikanten Unterschiede zwischen biokeramischen und epoxidharzbasierten Sealern auftraten13. Die Tabellen 1 und 2 geben eine Übersicht über Zwei-Komponenten- und vorgemischte gebrauchsfertige Produkte.
Klinische Fälle
Beim ersten Fall stellte sich auf Empfehlung die 55-jährige Patientin mit akuten Beschwerden und einer Schwellung im Bereich des Zahns 36 auf Empfehlung vor. Auf dem periapikalen Röntgenbild in Abbildung 2 ist Zahn 36 mit einer insuffizienten Wurzelkanalfüllung und einer Läsion an der mesialen Wurzel erkennbar. Auf der angefertigten digitalen Volumentomografie (DVT)-Aufnahme zeigt sich in der sagittalen Schnittebene das wahre Ausmaß der Läsion (Abb. 3). Bei der eingeleiteten Revisionsbehandlung musste zuerst die alte Wurzelfüllung entfernt und dann mit Handfeilen ISO 006, 008 und 010 apikale Patency erreicht und ein Gleitpfad erstellt werden. Nach elektronischer Längenmessung (Root ZX, Morita, Japan) erfolgte die weitere mechanische und chemische Desinfektion des Zahnes unter Verwendung von Handinstrumenten und maschineller Aufbereitung mit einem flexiblen Nickel-Titan (NiTi)-System (XP-endo Shaper und BT-Race, FKG), ultraschall- und laseraktivierter Desinfektion (LightWalker, Fotona, Slowenien) mit 5,25-prozentigem Natriumhypochlorit (NaOCl) unter dem Operationsmikroskop (OPMI PROergo, Zeiss, Oberkochen). Abbildung 4 zeigt das Abschlussbild nach Wurzelkanalfüllung mit TotalFill BC Sealer. Auf den Recallaufnahmen nach 6 und 15 Monaten ist der Verlauf mit vollständiger Ausheilung der apikalen Läsion ersichtlich (Abb. 5 und 6).
Im zweiten Fall wurde ein 36-jähriger Patient mit leichten Beschwerden zur Abklärung einer möglichen Revision am Zahn 46 überwiesen. Das periapikale Röntgenbild (Abb. 7) zeigt eine insuffiziente Wurzelkanalfüllung und eine apikale Resorption an der distalen Wurzel. Anhand des sagittalen (Abb. 8) und koronalen (Abb. 9) DVT-Schnittbildes kann man die Ausdehnung der apikalen Läsion und der Resorption gut beurteilen. Als Erstes wurde die alte Wurzelfüllung entfernt, apikale Patency erreicht und ein Gleitpfad erstellt. Die weitere Behandlung verlief wie im ersten Fall beschrieben, wobei distal am offenen Apex zunächst eine Kollagenbarriere, hier mit CollaCote (Zimmer Dental, Freiburg), als Widerlager geschaffen wurde, um einfacher einen homogenen dichten apikalen Stopp zu platzieren. Danach wurde der apikale Stopp an der distalen Wurzel mit TotallFill BC Fast Set Putty mithilfe von Handpluggern eingebracht. Abbildung 10 zeigt das Kontrollbild nach Beendigung der Revisionsbehandlung. Bei der Verlaufskontrolle nach 6 Monaten zeigt sich die gute Ausheilung mit Ausbildung eines gesunden parodontalen Ligamentes (Abb. 11).
Fazit
Nachdem die biokeramischen Sealer mittlerweile mehr als 9 Jahre in Deutschland im Einsatz sind, kann man diesen Materialien wissenschaftlich und klinisch eine gute Funktionalität bescheinigen. Die geforderten Kriterien der Wissenschaft und auch der Praktiker können sehr gut erfüllt werden. Klinisch lässt sich das besonders bei den geringeren postoperativen Beschwerden und bei der schnelleren Ausheilung einer Läsion feststellen. Ein großer Vorteil der vorgemischten gebrauchsfertigen Form gegenüber MTA ist das verbesserte Handling.
Natürlich sind langfristig noch weitere wissenschaftliche Studien mit hohem Evidenzgrad (prospektive klinische Untersuchungen) notwendig, um die momentanen Erkenntnisse zu bestätigen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass auch vor der Einführung der biokeramischen Materialien sehr gute Ergebnisse erzielt wurden, da für den Erfolg einer Wurzelkanalbehandlung jede einzelne Maßnahme von der Diagnose bis zur postendodontischen Versorgung äußerst wichtig ist.
Ein Beitrag von Dr. Wollner, Nürnberg
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de