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Die Bedeutung von Ferrule-Effekt und biologischer Breite


Dr. Jan Behring

Die prä- oder postendodontische Restauration eines tief zerstörten Zahnes stellt eine besondere Herausforderung für den Zahnarzt dar. Im Beitrag Dr. Jan Behring werden die biologischen und technischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Restauration beschrieben. Insbesondere wird auf das Konzept der biologischen Breite und den sogenannten Ferrule-Effekt eingegangen.

Der Beitrag (Behring J. Die Restauration tief zerstörter Zähne. Die Bedeutung von Ferrule-Effekt und biologischer Breite Endodontie 2017;26(4):389–39) ist der erste einer Reihe von mehreren Artikeln im Endodontie-Themenheft 4/17, in denen verschiedene Techniken zur Versorgung eines tief frakturierten oder durch Karies zerstörten Zahnes beschrieben und bewertet werden.

Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.


Einleitung

Der Erhalt tief zerstörter Zähne stellt eine tägliche Herausforderung für jeden Zahnarzt dar. Obgleich die zahnmedizinische Implantologie heute ein sicheres Verfahren zum Ersatz solcher Zähne ist und die Überlebensraten von Implantaten auch über einen langen Zeitraum sehr hoch sind, ist und bleibt der langfristige Erhalt natürlicher Zähne ein Hauptanliegen der modernen Zahnheilkunde.


Tab. 1 Herausforderungen bei der Restauration tief zerstörter Zähne.

Die Probleme, die sich dem Zahnarzt beim Erhalt tief zerstörter Zähne darstellen, lassen sich grundsätzlich in drei Kategorien einteilen (Tab. 1). 

Die Lösungsbedingungen für diese Probleme sind teilweise nicht nur unterschiedlich, sondern sogar gegensätzlich, woraus sich ergibt, dass eine einzelne Behandlungsmaßnahme oder Technik nicht jedes dieser Probleme gleichzeitig lösen kann. Vielmehr muss der Zahnerhalter individuell für jeden Einzelfall die verschiedenen Techniken prüfen und sie gegebenenfalls sogar kombiniert anwenden. 

Während sich die in der Kategorie „praktische Probleme“ (siehe Tab. 1) dargestellten Schwierigkeiten von selbst erklären, soll auf die Begriffe der biologischen Breite und des Ferrule-Effektes vorab eingegangen werden.


Abb. 1 Der dentogingivale Komplex mit biologischer Breite und adäquatem Ferrule-­Design.

Die biologische Breite und ihre Relevanz bei der Restauration tief zerstörter Zähne

Die biologische Breite wird im Allgemeinen auf eine Arbeit von Gargiulo et al. aus dem Jahr 1961 zurückgeführt1 (siehe All Time Classics, S. 395). In dieser Arbeit wurden erstmals konkrete Richtwerte für die Dimensionen der Weichgewebe über dem Knochen beschrieben, auch wenn die Autoren diese Zahlen nur durch die Untersuchung von präparierten Leichenköpfen ermittelten (Abb. 1). Der Begriff der biologischen Breite wurde erst ein Jahr später durch Cohen2 als die addierte Breite der Zonen des Saumepithels und des bindegewebigen Attachments über dem alveolären Knochenkamm geprägt und wird seither entsprechend genutzt3. Die biologische Breite wird meist nach Gargiulo et al.1 mit 2,04 mm angegeben. Nevins und Skurow addierten aus praktischen Erwägungen 1984 auch die Zone des offenen Sulkus hinzu und rundeten die von ihnen beschriebene „Dentogingival Junction“, welche oftmals fälschlich synonym zur biologischen Breite verwendet wird, auf einen Wert von durchschnittlich 3 mm auf4. Wie durch eine Reihe von Veröffentlichungen gezeigt wurde, variiert die biologische Breite jedoch je nach Zahnfläche und Zahngruppe5, nach dem parodontalen Zustand des Zahnes6 und nach dem Alter des Patienten1.

Die biologische Breite stellt in Abwesenheit einer durchgängigen Hautbarriere am Übergang zwischen Zahn und Gingiva einen möglichst dichten Abschluss zwischen dem Mundraum und dem Körperinneren dar. Insbesondere die Zone des sogenannten bindegewebigen Attachments als Abschluss vor dem Knochen scheint von größter Bedeutung für die Gewebsintegrität zu sein7,8. 

Die Verletzung der biologischen Breite (Abb. 2) wurde in vielen Arbeiten als abträglich für die parodontale Gesundheit beschrieben: Die Folgen können eine erhöhte Blutungsneigung, Gingivitis (Abb. 3a bis c) und vor allem Attachmentverlust beinhalten9–12 (Abb. 4). In tierexperimentellen Studien wurde histologisch gezeigt, dass nicht eine kleinflächige Verletzung des Zahnes als solche, sondern erst die Restauration dieser Dentinverletzung zu einer dauerhaften Verletzung der biologischen Breite führt11,12. Es kann somit gefolgert werden, dass es erst dann zu den oben genannten Symptomen kommt, wenn der Körper nicht in der Lage ist, ein neues bindegewebiges Attachment zwischen Knochenkante und Mundhöhle zu etablieren. Da für ein solches Attachment Wurzelzement unerlässlich ist, erklärt sich, warum die Präsenz künstlicher Werkstoffe negativere Auswirkungen hat als eine unter Studienbedingungen hergestellte kleinflächige Dentinwunde („Notch“). Folglich beschreiben diverse Autoren die negativen Auswirkungen von subgingivalen Restaurationen auf die parodontale Gesundheit7,11,13–16. In einigen Studien wird von einer „Dose-response-relationship“ berichtet, also einer Abhängigkeit der parodontalen Reaktion vom Ausmaß der Verletzung der biologischen Breite in Bezug auf die Tiefe und Suffizienz des Restaurationsrandes17–20. Nugala et al. weisen darauf hin, dass je nach Dicke des alveolären Knochens unterschiedliche Reaktionen des Körpers bei einer Verletzung der biologischen Breite beobachtet werden21. So kommt es bei einem dünnen alveolären Knochen durch ossäre Resorption und gingivale Rezession eher zur Wiedereinstellung der biologischen Breite, während es bei einem dickeren alveolären Knochen (z. B. interdental) eher zu einer dauerhaften gingivalen Entzündung kommt21,22 (siehe Abb. 3a bis c).

Somit lässt sich in Bezug auf die biologische Breite festhalten:

  1. Restaurationsränder sollten nicht tiefer als bis in den parodontalen Sulkus verlegt werden4.
  2. Wenn die biologische Breite im Rahmen einer Restaurierung leicht (nicht dichter als einen Millimeter an die Knochenkante heran) verletzt wird, so sollte dies mit glatten, polierten Restaurationen und möglichst nicht mit Kronenrändern oder anderen biologisch störenden Rändern geschehen19,20.
  3. Keinesfalls sollte bis in die Zone des bindegewebigen Attachments präpariert, bzw. restauriert werden7,8,21.
  4. Verletzt eine Restauration das bindegewebige Attachment, sollte die biologische Breite therapeutisch wiederhergestellt werden7,21.

Die Ferrule-Präparation und der Ferrule-Effekt

Einer traditionellen Forderung der Prothetik folgend, sollte der Rand einer künstlichen Krone apikal der Aufbaufüllung durch eine parallelwandige Dentinzone gefasst werden, um die Friktion der Krone sicherzustellen23 (siehe Abb. 1). Es wird dabei davon ausgegangen, dass nicht-dentinadhäsive Aufbaufüllungen selbst kaum zum Retentionsgewinn beitragen, sondern eine passive Funktion ausüben24. Da prospektive Studien oder gar randomisierte klinische Studien (RCTs) zur Überprüfung dieser These als Endpunkt eine Fraktur des Zahnstumpfes unter der Krone oder zumindest den Kronenverlust aufweisen müssten, sind diese Studien technisch schwierig durchzuführen und ethisch nicht vertretbar25. Auch retrospektive Studien sind aufgrund der insgesamt geringen Fraktur- bzw. Verlustrate kaum aussagekräftig26. Der Ferrule-Effekt, welcher sich aus der entsprechenden Präparationsform ergibt, konnte daher nur in Abscherversuchen27–30 oder Computermodellen31,32 überprüft werden. Oftmals werden in diesen Studien jedoch mehrere Effekte gleichzeitig untersucht. So wird oft die Stiftverankerung von Aufbauten bei wurzelkanalbehandelten Zähnen oder das Material der Aufbaufüllung als zusätzliche Variable eingesetzt27,28,33. In zahlreichen Studien wurden oftmals traditionelle, substanzopfernde und nicht-adhäsive Aufbaumaterialien wie Goldkernaufbauten oder Metallstifte30,33,34 verwendet. Ein direkter Vergleich mit den heute üblichen substanzschonenden adhäsiven Aufbaufüllungen ist also fraglich. In einem systematischen Review zum Ferrule-Effekt stellten Stanckiewitz und Wilson 2002 außerdem fest, dass die Kräfte, welche bei Abscherversuchen in vitro oder in Computersimulationen aufgewendet werden mussten, um das Dezementieren einer künstlichen Krone bzw. die Fraktur des Zahnstumpfes zu provozieren, höher sind als in der Realität vorkommend25.

Es kann somit zusammengefasst werden, dass in der Literatur der Nutzen einer Ferrule-Präparation zwar messbar dargestellt werden kann, es aber wenig Evidenz für einen Ferrule-Effekt in vivo gibt. Hieraus darf aber nicht gefolgert werden, dass ein Ferrule-Effekt in vivo nicht existiert, er kann nur aus technischen und ethischen Gründen nicht nachgewiesen werden. Im Bereich der sogenannten Level-5-Evidenz, also der Empfehlungen erfahrener Zahnärzte, sind Ferrule-Präparationen auch heute noch in Sondersituationen wie flächig zerstörten oder horizontal frakturierten Zähnen oder bei Stümpfen mit einer hohen zu erwartenden Abscherbelastung (z. B. Frontzahnkronen, Tele­skop­zähne) dringend zu empfehlen24 (Abb. 5a bis c). Auch kann eine Ferrule-Präparation nützlich sein, um bei kurzen oder gewinkelten Stümpfen die Friktionsfläche zu erhöhen35,36. Der Literatur folgend sollte eine solche parallelwandige Dentinzone zwischen 1,5 und 2,0 mm breit sein25,37. Bei breiteren Zonen zeigt sich kein zusätzlicher Effekt23,29,33. Die Forderung nach einer grundsätzlichen Abdeckung der Aufbaufüllung durch einen Restaurationsrand, ob mit oder ohne zusätzliche Ferrule-Präparation, muss im Einzelfall jedoch mit Blick auf die Möglichkeiten der Adhäsivtechnik30,34,35,38 und der Proximal Box Elevation39 infrage gestellt werden. Insbesondere bei tief zerstörten Zähnen ist ein Ferrule-Design oft nur durch Kombination mit einer Kronenverlängerung (oder Extrusion) zu erreichen, wodurch es zu Attachmentverlust, einer Schwächung des Restzahnes40,41 und einem schlechteren Kronen-Wurzel-Verhältnis kommt42. 

Es darf daher gemäß der Schlussfolgerung von Stanckiewitz und Wilson resümiert werden, dass die Schaffung eines Ferrule-Designs grundsätzlich positiv zu werten ist, aber nur im Ausnahmefall hierfür ein zusätzlicher Attachmentverlust in Kauf genommen werden sollte25.

Schlussfolgerung

Die Restauration tief zerstörter Zähne kann mit verschiedenen therapeutischen Techniken erzielt werden. Allen gemeinsam ist der Anspruch, das Prinzip der biologischen Breite einzuhalten, idealerweise in Kombination mit der Präsenz eines Ferrule-Designs.

In den nachfolgenden Artikeln dieser Ausgabe der „Endodontie“ 4/17 werden dem Leser eine Übersicht über die wichtigsten Techniken zum prä- oder post­endodontischen oder posttraumatischen Erhalt tief zerstörter Zähne dargelegt und abschließend Entscheidungshilfen für die tägliche Praxis formuliert.

Ein Beitrag von Dr. med. dent. MSc. Jan Behring, Hamburg

Literatur


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Titelbild und alle Abb: © Quintessenz Verlags Gmbh

Quelle: Endodontie, Ausgabe 4/17 Endodontie Zahnmedizin

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