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Die Herausforderung bei der Behandlung von Demenzpatienten in der zahnärztlichen Praxis meistern

(c) SewCream/Shutterstock.com

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Liebe Leserin, lieber Leser, war es Ihnen möglich, den Einleitungstext zu lesen? Wenn ja, gratuliere ich Ihnen: keine Demenz! Denn ein an Demenz erkrankter Mensch kann solche Buchstabenkombinationen nicht mehr zuordnen. Oft kann er auch andere Alltagshandlungen nicht mehr ausführen, verstehen oder erkennen. Weshalb nicht? Was ist denn das für eine Krankheit, die den Menschen so sehr verändert?

Den Erfordernissen einer modernen Zahnarztpraxis entsprechend, wendet sich das „Quintessenz Team-Journal“ an das gesamte zahnärztliche Team: Zahnärztinnen, Zahnärzte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von Auszubildenden bis zur Dentalhygienikerin. Neben dem Basiswissen für die Auszubildende sorgen Beiträge aus dem klinischen Bereich für ein Kompetenz-Plus. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.
 

Definition

Demenz ist eine über Monate bis Jahre chronisch progrediente degenerative Veränderung des Gehirnes mit Verlust von früher erworbenen kognitiven Fähigkeiten.
ICD 10: Demenz (ICD-10-Code F00-F03) ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen (einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen) und des Urteilsvermögens (im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung). Das Bewusstsein ist jedoch nicht getrübt

Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD über mindestens sechs Monate bestanden haben. Sinne und Wahrnehmung funktionieren im für die Person üblichen Rahmen. Gewöhnlich werden die kognitiven Beeinträchtigungen begleitet von Auffälligkeiten der emotionalen Kontrolle und der Gemütslage, des Sozialverhaltens oder der Motivation; gelegentlich treten diese Veränderungen eher auf. Sie kommen bei Alzheimerkrankheit, Gefässerkrankungen des Gehirnes und anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn und die Neuronen betreffen1.

Alzheimer

Die Alzheimerkrankheit (auch Alzheimer-Demenz oder Morbus Alzheimer genannt) – ist die häufigste Form und eine bis heute unheilbare Gehirnerkrankung. Durch das Absterben von Nervenzellen im Gehirn werden Menschen mit Alzheimer zunehmend vergesslich, verwirrt und orientierungslos.

Bereits im Jahr 1907 publizierte Alois Alzheimer einen Post-mortem-Fallbericht einer damals 51-jährigen Frau mit schwerer Demenz. Diese Krankheit ist also nicht „neu“ und kann jüngere und ältere Menschen jeder Hautfarbe, jeder Nationalität, jeder Gesellschafts- und jeder Bildungsschicht heimsuchen. Gesichert jedoch ist, dass bei jüngeren Kranken (< 65 Jahren) in den meisten Fällen eine genetische Disposition vorhanden ist. Ab Alter 65 jedoch kann es jeden treffen. Sie und mich. Deshalb „Carpe diem“. Nutzen Sie den Tag, nutzen Sie Ihre Zeit sinnvoll. 

Ist Demenz heilbar?

Eine Demenz kann zahlreiche Ursachen haben. Einige Demenzformen sind tatsächlich reversibel, das heißt: Sie sind durch die geeignete Behandlung teilweise oder ganz heilbar. Dies ist etwa aufgrund einer Stoffwechselerkrankung wie Schilddrüsenunterfunktion oder einem Vitamin-B-12-Mangel.

Bei irreversiblen Demenzen ist das Gehirn direkt erkrankt. Die bekanntesten solcher unheilbaren Formen sind die Alzheimer-Demenz, die vaskuläre Demenz, die Lewy-Body-Demenz, die frontotemporale Demenz und die Parkinson-Demenz. Bis heute lassen sich trotz Turbo-Forschung diese Krankheiten nicht heilen oder aufhalten. Eine passende medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapie mildert jedoch die Symptome und hilft dem Betroffenen, länger die Selbstständigkeit zu bewahren. Voraussetzung ist eine frühe und gründliche fachärztliche Diagnose (Memory-Klinik, Gedächtnisambulanz).

Alle Menschen haben das Recht auf die Diagnose ihrer Krankheit. Eine nicht diagnostizierte Demenz oder eine bloße Demenzvermutung erhöht den Leidensdruck von Kranken und Angehörigen. 

Fakten in Deutschland

Demenz ist eine Erkrankung, die stärker als jede andere Erkrankung mit dem Lebensalter korreliert. Etwa 1 Prozent der 65- bis 69-jährigen Menschen in Deutschland leiden unter einer Demenz, 6  Prozent bei den 75- bis 79-Jährigen und 24  Prozent bei den 85- bis 89-Jährigen. Weil die Zahl der hochbetagten Menschen in Zukunft noch mehr ansteigen wird, rechnen Experten mit einer Zunahme der Demenzhäufigkeit. „Bei gleichbleibenden Vorbeugemöglichkeiten und Behandlungsbedingungen wird sich die Zahl der Betroffenen innerhalb der nächsten 30 Jahre voraussichtlich verdoppeln“, sagt Professor Dr. Hans-Helmut König vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Heute gibt es in Deutschland 1,3 Millionen Alzheimerpatienten. Experten rechnen für das Jahr 2030 mit ca. 2,3 Millionen Kranken und mit ca. 200.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Mehr als die Hälfte der Demenzkranken leben zu Hause und werden durch Angehörige gepflegt. Die durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt sieben Jahre. Die Kosten liegen im leichten Krankheitsstadium bei etwa 15.000 Euro jährlich und steigen bei schwerer Demenz auf ca. 42.000 Euro jährlich2.

Dement oder „bloß vergesslich“?

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Wohnzimmer, haben Lust auf einen Kaffee, gehen in die Küche, stehen da … und wissen nicht mehr, was Sie hier eigentlich wollten. Ist Ihnen das auch schon mal passiert? Haben Sie nun eine beginnende Demenz? Prüfen Sie selbst. Test für Sportliche: Sie gehen zurück ins Wohnzimmer, holen sich den Gedanken, begeben sich in die Küche und machen sich Ihren Kaffee. Für weniger sportliche Menschen: Sie warten da, wo Sie sind, bis der Gedanke zu ihnen kommt und machen sich dann ihren Kaffee. Keine Demenz.

Ein Demenzkranker wartet in der Küche – kein Gedanke kommt. Dann eilt er ins Wohnzimmer – kein Gedanke ist dort. Er geht weiter ins Schlafzimmer und schaut dort nach, ob er etwas vergessen hat. Er findet nichts, eilt in den Keller, ins Bad, auf den Estrich oder sonst wohin – er kann keinen Gedanken finden. So kommt er dann zum Ehepartner/Mitbewohner/Nachbarn oder zur Pflegefachperson, der/die hoffentlich gerade in der Nähe ist, und fragt dort nach, was er denn tun soll …

Jeder Mensch ist immer mal wieder vergesslich, der eine öfter, der andere seltener. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung, wenn Sie ab und zu unsicher sind, ob Sie nun die Haustüre abgeschlossen haben, die Herdplatte ausgeschaltet oder die Brille verlegt haben. Sollten Sie jedoch merken, dass die Vergesslichkeit zunimmt und in verschiedenen Alltagsbereichen auftritt, empfiehlt sich eine Abklärung beim Hausarzt. Der Verlust des Gedächtnisses ist allerdings nur eines der Symptome der Demenz. Je nach Krankheitsform kann sich eine Demenz auch anders äußern (zum Beispiel Rückzug, keine Freude mehr an den Hobbys, Vernachlässigung des Freundeskreises und anderes mehr).

Verlauf

20 bis 30 Jahre vor den ersten Anzeichen beginnen im Gehirn die Veränderungen. Wenn die Vergesslichkeit offensichtlich wird, spricht man von der ersten Phase der Demenz. Wir unterscheiden drei Phasen. Jede Phase dauert unterschiedlich lange – im Schnitt maximal fünf Jahre. Die Behandlung und der Umgang mit den Patienten ist in jeder Phase unterschiedlich (Abb. 1).
 

Abb. 1 Die drei Phasen der Demenz.
Abb. 1 Die drei Phasen der Demenz.


Stellen Sie sich den Patienten vor: Er möchte aus seinem Gefängnis – der Demenz – ausbrechen, kann aber nicht, weil die Krankheit langsam und unaufhaltsam über ihn kommt. Wie eine Käseglocke. Wir sehen den Kranken, er sieht uns – aber die Kommunikation und die Interaktion zwischen uns wird zunehmend schwieriger. In der 1. Phase ist vor allem der Kopf betroffen (Vergesslichkeit, Erfolgslosigkeit, Depression/Aggression), in der 2. Phase kommt die Verwirrtheit, Orientierungslosigkeit und oft zielloses Umherwandern hinzu und in der 3. Phase ist der Kranke meist pflegebedürftig (Hilflosigkeit, Schutzlosigkeit).

Demenzkranke in der zahnärztlichen Praxis

Der Zahnarzt/die Dentalhygienikerin sollte vor der Behandlung abklären:

  • Kann die/der demenzkranke Patient(in) noch in die Behandlung einwilligen?
  • Bestehen noch Phasen der Rechtsfähigkeit?
  • Wer ist eventuell der eingesetzte Vormund oder rechtliche Betreuer?
  • Muss ein betreuungsrechtliches Verfahren bei der geplanten Behandlung beim Amtsgericht über dem rechtlichen Betreuer eingeleitet werden (gegebenenfalls mit zahnärztlichem und/oder psychiatrischem Gutachten)?

Die zahnärztlichen Implikationen, Behandlungsmöglichkeiten und Risiken in den drei Demenzstadien sind unterschiedlich. Bei manchen Demenzformen kommt es zu Schluckstörungen und damit zu einer erhöhten Aspirationsgefahr (zum Beispiel sind durch Wurzelkaries abgebrochene Kronen und Brücken eine ernsthafte Gefahr). Dem zahnmedizinischen Laien bleiben oft auch Kieferluxationen verborgen, die der Zahnarzt bei der Routineuntersuchung erkennen kann.

Da der Demenzkranke häufig stark gesüßte und gesalzene Speisen aufgrund von nachlassendem Geruchssinn mit eingeschränkter Geschmacksdifferenzierung bevorzugt und seine Mundhygiene vernachlässigt, kommt es vermehrt zu Kronenrand- und Wurzelkaries. Es ist notwendig, den Demenzkranken selbst, das Pflegepersonal und die Bezugspersonen zur Durchführung von Mundhygienemaßnahmen beim Kranken anzuleiten. Zusätzlich ist die regelmäßige professionelle Mundhygiene mit Prothesen- und Zungenreinigung ein Muss. Nicht nur die Kaufähigkeit wird dadurch erhalten, sondern auch dem Entstehen von Pneumonien wird vorgebeugt.

Im ersten Stadium

(leichte Demenz)

Verhalten der Patienten:

  • Wegen der deutlich wahrgenommenen Schwierigkeiten mit kognitiven Leistungen (Gedächtnis, Sprache, Orientierung, Urteilsfähigkeit, Erkennen) kommt es zu Kränkungen, Verunsicherungen, Trauer, Depression, Angst und Wut.
  • Der Versuch „normaler“ Lebensformen scheitert an Fehlleistungen. Der Betroffene entschuldigt sich immer wieder oder zieht sich zurück, weil sich das Gefühl ständiger Erfolgslosigkeit einstellt. 
  • Das Empfinden für Familie und soziales Verhalten sind noch intakt. Reisen, größere Veranstaltungen oder steter Milieuwechsel überfordern den Kranken.
  • Konversation, welche auf Gedächtnisleistung aufbaut, überfordert ebenso wie abstrakte Themen oder Entscheidungsfragen.
  • Auf unangenehme Reize reagieren die Betroffenen ängstlich und/oder aggressiv (weil sie das, was gerade ist, schlecht oder nicht mehr zuordnen können). 
  • Lebenslange Gewohnheiten können nicht mehr geändert werden.
  • Die Zähne putzen sich die kranken Menschen meist noch selbst oder lassen sich gerne dabei helfen. 
  • Süßigkeiten sind ein wichtiges Element der Ernährung Demenzkranker. Ihr Genuss trägt zur Lebensqualität bei und Zucker ist ein wichtiger Nährstoff für das demente Gehirn.
  • Mit zunehmender Steifigkeit der Hände und oralen Weichteile entsteht multiple Karies. 

Das ist jetzt wichtig: Vertrauensaufbau

  • Schulung des Personals/der Angehörigen
  • Orientierungsunterstützende und klar strukturierte Räumlichkeiten (Anschriften, Farben, Wegweiser).
  • Konversation über alles, was im Moment sichtbar und erlebbar ist 
  • Alle Hilfestellungen müssen diskret und diplomatisch geleistet werden. 
  • Erkundigen Sie sich beim Hausarzt oder bei der Betreuungsperson über allfällige Allergien des Kranken, über seinen Lebensstil, Gewohnheiten etc.
  • Die Begleitung des Patienten durch Angehörige oder Betreuungspersonen zur zahnärztlichen Praxis ist wünschenswert.
  • Mundschutz und Handschuhe können bedrohlich wirken.
  • Gemeinsame Zahnpflege (dicker Griff an Zahnbürste, milde Zahnpasten, evtl. nachputzen, Anregen zum Wassertrinken) 
  • Termine zur „besten Tageszeit des Patienten“ planen
  • Wartezeiten vermeiden
  • Einfache, verständliche Erläuterungen der Behandlungsschritte.
  • Mehr Zeit einplanen, kurze Sequenzen.
  • Engmaschiger Recall.

Im zweiten Stadium

(mittelschwere Demenz)

Verhalten der Patienten:

  • Exekutive Funktionen (Planung, Überlegung, Wille) sind nicht mehr handlungsbestimmend. Der Kranke kann keine Termine mehr abmachen/einhalten und/oder gar Entscheidungen treffen. Rechnungen werden verlegt/vergessen. Mahnungen zu verschicken, ist zwecklos. Mit Angehörigen/Betreuungsperson kooperieren.
  • Wirklichkeitsfremde Überzeugungen, zielloses Suchen, Orientierungsschwierigkeiten (Wartezimmer/Toilette finden) und Bewegungsdrang (Patient kann nicht länger als zehn Minuten warten und langes Stillsitzen ist unmöglich).
  • Gefährliche Gegenstände werden ergriffen und oft in den Mund genommen.
  • Misstrauen, Wahn, Verdächtigungen („Du hast mir etwas gestohlen“).
  • Die Sprache zerfällt, Kommunikation und soziale Umgangsformen gehen verloren, der Kranke erinnert sich nicht mehr an Namen und/oder Personen, er kann keine differenzierten Antworten mehr geben.
  • Anweisungen werden nicht verstanden.
  • Gefühle wie Eifersucht, Enthemmung, Streit, Freude oder große Anhänglichkeit bestimmt die Beziehung zu anderen Menschen.
  • Selbstständiger Toilettengang ist oft nicht mehr möglich (beginnende Inkontinenz).
  • Kranke sprechen oft unverständlich, aber Nahestehende können den Sinn erahnen
  • Unangenehme Reize werden vehement abgewehrt.
  • Mit dem Erstarrend der Muskeln und Gelenke hören die Kaubewegungen auf und pürierte oder gar flüssige Nahrung wird notwendig.
  • Feste Lippen, Wangen und Zunge machen jede wirksame Mundhygiene unmöglich und erzeugen übermäßigen, meistens nach oral gerichteten Druck gegen Zähne, durch die verringerte/fehlende Kautätigkeit verstellen sich die Zähne und passen nicht mehr zusammen.
  • Die Frontzähne dienen zum Nagen (an Bettwäsche, Servietten usw.) zum Fletschen (bei Angst vor Unbekanntem) und zum Beißen (zur Abwehr einer unerwünschten Person), typisch sind erste Wurzelreste bei Molaren und labiale Frontkaries.

Das ist jetzt wichtig: Strategien zur Verring­­erung der Bedrohungswahrnehmung

  • Den Patienten von vorne mit Namen begrüßen, ein Lächeln steigert den Wert Ihres Gesichts.
  • Nennen Sie Ihren Namen.
  • Sprechen Sie auf Augenhöhe mit dem Kranken, halten Sie Blickkontakt.
  • Achten Sie auf kongruente, klare Körpersprache. Mimik, Gestik und Tonfall müssen stimmig sein.
  • Sprechen Sie über Dinge, die man sehen, hören oder anfassen kann, wenig Information geben, es stellt für den Patienten eine Überforderung dar, wenn er ständig mit Anweisungen oder Erklärungen konfrontiert wird.
  • Kurze Sätze, langsam und deutlich, ruhige und tiefe Stimme, Sprechpausen einlegen, trösten. 
  • Viel Zeit einplanen und evtl. die Behandlung auf „normalen Stuhl“ verlegen.
  • Stellen Sie geschlossene Fragen (der Patient sollte mit ja oder nein antworten können).
  • Geruch in der Praxis kann Angst auslösen.
  • Widersprechen Sie nicht bei unverständlichen Aussagen oder Geschichten.
  • Nehmen Sie Anschuldigungen nicht persönlich, bleiben Sie ruhig.

Im dritten Stadium

(schwere Demenz)

Verhalten der Patienten:

  • Schwere funktionelle und körperliche Regression mit Sprachverlust, Immobilität, Apraxie, entdifferenzierter Motorik, Stuhl- und Urininkontinenz und somit umfassende Pflegebedürftigkeit.
  • Verhaltensstörungen wie Rufen, Schreien, Hin- und Herbewegen. Diese Verhaltensstörungen sind oft Ausdruck basaler Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Ausscheidung, Schmerz oder Zuwendung.
  • Übersteigerte Reiz-/Schmerzempfindung, die Kranken sind Außenreizen hilflos und schutzlos ausgeliefert (TV, Radio, lautes Sprechen, Geräusche).
  • Halluzinationen (zum Beispiel Gartenschlauch = Schlange oder imaginäre Spinne auf dem Teller).
  • Oft haben Kranke Angst vor Dunkelheit oder dem Alleinsein und wünschen sich, in den Arm genommen zu werden, berührt und gestreichelt zu werden.

Das ist jetzt wichtig: Vorbehaltloses Wertschätzen des Kranken

  • Bemühen Sie sich um fürsorgliche Gelassenheit.
  • Ruhige Umgebung gestalten, gedämpftes Licht, leise sprechen.
  • Lassen Sie ungewöhnliches Verhalten zu.
  • Überdenken Sie Ihre Ethik, Ihre Motivation, Ihr Menschenbild: Wie möchten Sie selbst einmal behandelt werden?
  • Aufrechterhaltung des oralen Komforts: Die Betreuungsperson muss die Mundhygiene vollständig übernehmen.
  • Den Patienten am besten auf einen Stuhl an den Tisch setzen, im Rücken stehen und Zähne reinigen, Körperkontakt (hin- und herwiegen).
  • Lässt der Kranke keine verantwortbare Mundhygiene zu: allenfalls mit dem Hausarzt über eine Behandlung mit angstlösenden Medikamenten (Sedierung) diskutieren, Vorsicht bei Narkose: hohes Risiko! Haus-/Heimbesuche in Betracht ziehen
  • Schmerzprävention nicht vergessen
  • Keine Gewalt anwenden, auch nicht beim Einsetzen der Prothese, wenn es nicht klappt. Zu einem späteren Zeitpunkt nochmals versuchen.
  • Betroffene erkennen gut, ob eine Stimme vertraut, respektvoll oder respektlos klingt und reagieren entsprechend zutraulich oder abweisend, sie nehmen das Geschehen rundherum wahr.
  • Das regungslose Sitzen vor dem vollen Teller hat oft nichts mit Zahnschmerzen zu tun, sondern ist meist der Übergang von der 2. in die 3. Phase der Demenz. Die Kranken haben vergessen, wie „essen“ geht.

Es besteht heute eine große Gewissheit, dass der Zahnzerfall schmerzfrei und ohne medizinische Komplikationen verläuft. Dafür spricht die fehlende Kautätigkeit, die rasante Karies und die demenzielle Nichtbeachtung. Ohne Kaubewegungen gibt es keine Aufbissschmerzen. Die Karies erweicht allfällige spitzige Kanten an den Wurzelresten in kurzer Zeit, und weil der Zahnzerfall den Betroffenen weder Angst noch Scham noch Sorgen bereitet, verläuft er ohne Stress und bleibt subjektiv unbemerkt.

Mitleid, Vorurteile oder falsche Vorstellungen sind Hürden, die eine Brücke von Mensch zu Mensch verunmöglichen. Das Herz wird nicht dement!

Fazit

Wichtigste Grundhaltung ist, den Menschen als Mensch wahrzunehmen und nicht als Träger einer Diagnose. Das innere, bedingungslose „Ja“, das Annehmen des Menschen mit seinen momentanen Bedürfnissen, die bedingungslose Begegnung auf Augenhöhe, die volle Wertschätzung: Das sind die Bedingungen, auf die Menschen angewiesen sind. Das Gefühl abgelehnt zu werden, tut weh. Mit oder ohne Demenz. Das Wissen um die Demenz ist wichtig, um den Kranken zu verstehen. Verstehen fördert Vertrauen und ermöglicht eine Annäherung.

Der Demenzkranke lebt zunehmend in seiner eigenen Welt. Es ist unsere Aufgabe, diese andere Weltsicht verstehen zu wollen. Beruhigen Sie den Patienten, wenn er etwa während der Behandlung immer wieder aufstehen möchte. Manchmal genügt eine kurze Pause. Bieten Sie ein Glas Wasser an oder spazieren Sie mit der Person in der Praxis herum. Will die Person den Mund nicht öffnen, hilft oft ein Vormachen. Korrigieren Sie falsche Aussagen nicht. Argumentieren ist kontraproduktiv. Beharren Sie nicht auf einer Maßnahme, falls die Person sich weigert.

Die zahnärztliche Behandlung beschränkt sich mit fortschreitender Demenz auf Prophylaxemaßnahmen, Schmerzbeseitigung und gegebenenfalls auf Reparaturen von vorhandenem Zahnersatz. Die Adaptationsfähigkeit an einen neuen Zahnersatz ist ab der 2. Phase oft nicht mehr vorhanden. Eventuell sind Duplikatprothesen möglich. Nicht selten kann ein an Demenz Erkrankter die Prothese nicht mehr dem korrekten Kiefer zuordnen, sodass zum Beispiel versucht wird, die Oberkieferprothese im Unterkiefer einzugliedern. Häufig können sich die Demenzkranken im dritten Stadium der Demenz ihren Zahnersatz nicht mehr selbst einsetzen.

Das Erkennen von zahnmedizinischen Schmerzen wird aufgrund der Polypharmazie erschwert. Informationen über Arzneimittel, die für die zahnärztliche Praxis relevant sind, erhalten Sie unter www.mizdental.de. Starke Schmerzmittel (zum Beispiel aufgrund von rheumatischen Erkrankungen) erschweren neben der schwierigen Kommunikation die Befunderhebung und die Diagnose zusätzlich. Zeigen Sie Verständnis und vermitteln Sie Sicherheit.

Vergessen Sie sich selbst nicht!

Kümmern Sie sich auch um sich selbst, um Ihre stetige Aus- und Weiterbildung, um eine gesunde Work-Life-Balance. Pflegen Sie Freundschaften. Ernähren Sie sich gesund (Mittelmeerkost), bewegen Sie sich regelmäßig (Sport). Vergessen Sie die Lebensfreude und den Humor nicht, stellen Sie sich Ihren Lebensthemen und überlegen Sie: Was wäre, wenn im Leben nichts „gegen dich“ geschieht, sondern alles „für dich“? Was wäre, wenn alles im Leben einen Sinn hätte, auch Schmerz und Verdruss? Was wäre, wenn deine größten Probleme eigentlich Geschenke sind – Geschenke des Lebens, die dich stärker machen?

„Gehst du schon in die Schule?“, fragt der Onkel seinen kleinen Neffen. „Na klar“, erwidert dieser. „Und was machst du in der Schule?“ „Ich warte, bis sie aus ist …“. – Nicht wenige Menschen leben ihr Leben ähnlich wie jener kleine Neffe: Sie warten, bis es aus ist. Wie gestaltest Du Deine Lebenszeit? 

Dr. Esther Oberle, Schweiz

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Buchtipps 
Frauke Müller/Ina Nitschke (Hrsg): Der alte Patient in der täglichen Praxis, Quintessenz Verlag.

Ina Nitschke/Klaus-Peter Wefers/Julia Jockusch (Hrsg): Mobile Zahnmedizin. Die aufsuchende Betreuung. 1. Auflage 2023

Reference: Alterszahnmedizin Patientenkommunikation Team Zahnmedizin

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