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Zahnmedizinische Versorgung

Ein Beitrag von Prof. Dr. Michael Hülsmann und Dr. Steffi Drebenstedt, beide Göttingen


Prof. Dr. Michael Hülsmann, Universitätsmedizin Göttingen

Die endodontische Behandlung älterer und alter Patienten unterscheidet sich nicht prinzipiell, aber in einigen Einzelaspekten von der Behandlung jüngerer Patientengruppen. Einschränkungen der Allgemeingesundheit, Multimedikation und u. U. reduzierte Belastbarkeit müssen ebenso berücksichtigt werden wie möglicherweise limitierte Mundöffnung und kalzifizierte Wurzelkanäle. In bestimmten Fällen sind Kompromissbehandlungen unumgänglich. In vielen Fällen rechtfertigt die gute Prognose aber auch in dieser Patientengruppe den Versuch einer Zahnerhaltung durch eine Wurzelkanalbehandlung.

Klinik

Diagnostik

Die Diagnose des Pulpazustandes bei älteren Zähnen mit aufwändigen Restaurationen stellt häufig eine Herausforderung dar24. Da Zähne älterer Patienten, bei denen eine endodontische Behandlung möglicherweise indiziert ist, häufig schon eine ausgeprägte Kalzifikation der Pulpakammer zeigen oder bereits überkront sind, ist eine eindeutige und zuverlässige Bestimmung der Sensibilität und Vitalität der Pulpa nicht immer möglich. Aufgrund der verringerten Dentininnervation verschlechtert sich auch die Reizleitung, sodass sowohl der Kältetest als auch die Präparation einer Testkavität u. U. falsch negative Resultate ergeben. Für die elektrische Bestimmung der Pulpasensibilität werden diese Unterschiede zwischen alten und jungen Zähnen nicht beschrieben12. Die Indikation für oder gegen eine Wurzelkanalbehandlung ergibt sich aus der Kombination aus klinischer Symptomatik und dem Röntgenbefund. Eine rein röntgenologische Diagnostik einer Obliteration ist nicht möglich, das Fehlen klar erkennbarer Kanalstrukturen im Röntgenbild ist nicht ausreichend. Eine Kalzifikation ohne weitere Symptome oder Befunde stellt keine Indikation zur Wurzelkanalbehandlung dar.

Verfärbungen im koronalen Bereich der Zähne deuten nicht unbedingt auf eine Pulpanekrose hin und können Folge früherer restaurativer Behandlungen (Amalgam), als auch struktureller Veränderungen des Dentins sein, die zu einer gelblichen Verfärbung führen können.

Besonderes Augenmerk ist bei der Diagnostik auf Risse, Infrakturen und Frakturen in den Zahnhartsubstanzen zu legen, die bei älteren Menschen häufig auftreten und unter Umständen die Restaurierbarkeit eines Zahnes in Frage stellen können.

Auch Mundhygiene und Parodontalzustand der Patienten müssen sorgfältig untersucht werden: beide Faktoren können die Prognose eines Zahnes entscheidend beeinflussen und einen Erfolg versprechenden Erhaltungsversuch des Zahnes verhindern.

Behandlungsplanung

Vor Therapiebeginn sollte eine gründliche Planung vorgenommen und mit dem Patienten diskutiert werden, wobei neben den zahnspezifischen Parametern auch patientenbezogene Gesichtspunkte eine wichtige Rolle spielen:

  • Lässt der Parodontalzustand eine Erhaltung des Zahnes zu? (Abb. 1)
  • Kann der betroffene Zahn qualitativ hochwertig restauriert und als funktionsfähige Kaueinheit genutzt werden?
  • Erscheint eine endodontische Behandlung technisch machbar und Erfolg versprechend? (z. B. Dentikel, Kalzifikationen, Revisionsbehandlung, Interaktion mit Grunderkrankungen des Patienten?).
  • Falls es sich um einen Pfeilerzahn handelt: Ist der Zahn auch weiterhin als Pfeiler belastbar? Ist er für die orale Rehabilitation notwendig?
  • Ist der Patient für eine Wurzelkanalbehandlung ausreichend belastbar?
  • Was erwartet der Patient?
  • Ist der Zahn ästhetisch oder phonetisch wichtig?
  • Welche Rolle spielt die Erhaltung des Zahnes aus psychologischer Sicht für den Patienten? Ist seine Lebensqualität von der Erhaltung des Zahnes abhängig?17

Die Einschätzung und Bewertung des Patienten bezüglich der letzten drei Parameter ist u.U. von größerer Bedeutung als die des Zahnarztes und kann auch einen kompromissbehafteten Behandlungs- und Erhaltungsversuch rechtfertigen (Abb. 2).

Die endodontische Planung muss sorgfältig mit der Restaurationsplanung abgestimmt werden: Kann eine Restauration durch eine Wurzelkanalbehandlung erhalten werden oder muss diese in jedem Fall entfernt und neu angefertigt werden (Abb. 3)? Soll der Zahn als Pfeilerzahn einer festsitzenden oder herausnehmbaren Versorgung dienen? Würde der Verlust des Zahnes den Übergang zu einer herausnehmbaren Versorgung bedeuten? Stellt ein Implantat u.U. noch eine sinnvolle Alternative zu einer prognostisch als ungünstig zu bewertenden Wurzelkanalbehandlung dar?

Bei der Diskussion der Differenzialtherapie ist zu berücksichtigen, dass Implantate zwar prinzipiell in jedem Lebensalter inseriert werden können, bestimmte Grunderkrankungen (z. B. Diabetes, Osteoporose) die Prognose aber verschlechtern. Älteren Patienten fällt nicht selten auch die aufwändige Pflege der Implantate sehr schwer. Es muss sorgfältig evaluiert werden, ob der Patient überhaupt Implantate als Alternative zu einer Wurzelkanalbehandlung akzeptiert.

Bei der Behandlungsplanung müssen primär die individuellen Bedürfnisse und Prioritäten älterer Menschen berücksichtigt werden: für den einen älteren Patienten steht die Erhaltung seiner Zähne nicht unbedingt im Fokus, da er zurzeit andere und vielleicht auch gravierendere Probleme hat. Für den anderen kann die Erhaltung eines Zahnes auch bei unsicherer oder sogar schlechter Prognose aus psychologischer Sicht sehr wichtig sein, da der Erhalt der eigenen Zähne häufig nicht nur mit Kau-, sondern auch mit Lebensqualität assoziiert ist (Abb. 2). Gerade der Verlust der letzten Zähne mit dem Übergang zu herausnehmbarem Zahnersatz kann mit erheblichen psychologischen Konsequenzen assoziiert sein.

Darüber hinaus müssen bereits bei der Planung der Behandlung eine Reihe patientenspezifische Parameter berücksichtigt werden: kurze Behandlungszeiten, Aufteilung der Therapie auf mehrere Sitzungen, patientenfreundliche Lagerung (ohne Überstreckung), Möglichkeiten der Unterbrechung der Behandlung, Anfertigung eines Aufbissblocks aus Silikon oder Verwendung flexibler Öffnungshilfen, um die längere Öffnung des Mundes zu erleichtern (Abb. 4). Auch die begrenzte physische und psychische Belastbarkeit älterer Patienten kann die Behandlung in mehreren Sitzungen notwendig machen28. Es muss geklärt werden, ob die Anwesenheit einer Begleitperson hilfreich und erwünscht ist.

Präparation der Zugangskavitäten

Die altersbedingten Einengungen und Kalzifikationen des Pulpakavums können die Präparation der Zugangskavität und die Darstellung der Wurzelkanaleingänge zu einer Herausforderung machen: Unter Umständen findet sich keine Pulpakammer mehr und die endodontische Behandlung beginnt mit der mühevollen Suche nach den Wurzelkanaleingängen am Pulpakammerboden oder sogar weiter apikalwärts bereits innerhalb der Wurzeln (Abb. 5). Eine erste, allerdings nur grobe Abschätzung der notwendigen Eindringtiefe bis zum Erreichen der Wurzelkanaleingänge kann mit der Parodontalsonde am Röntgenbild erfolgen, der gemessene Wert kann dann in der Kavität überprüft werden.

Dentikel

Dentikel lassen sich in sog. „echte“ und „unechte“ Dentikel differenzieren, ihre exakte Ätiologie ist immer noch umstritten19,20. Die Prävalenz von Dentikeln steigt mit zunehmendem Alter: während sie bei 20-Jährigen in etwa 30–66 % aller Zähne gefunden wurden, betrug der Wert bei über 50-Jährigen bereits 90 %30.

Sie können mit den Hartsubstanzen fest verbacken sein, nur punktuell Kontakt aufweisen oder sogar frei im Pulpagewebe liegen. Die Art und das Ausmaß der Adhärenz entscheiden über die Schwierigkeiten der Entfernung. Viele Dentikel können relativ schnell und einfach mit Ultraschall, z. B. einem Scaler, aus der Kavität gesprengt werden, andere müssen zuvor zirkulär freigelegt und wieder andere vollständig mit rotierenden Instrumenten entfernt werden (Abb. 6). Bei Dentikeln, die im Bereich der Furkation mehrwurzeliger Zähne adhärent sind, besteht bei der Entfernung mit rotierenden Schleifkörpern ein erhöhtes Perforationsrisiko. Kleinere Dentikel, die unbemerkt in die Wurzelkanäle transportiert werden, können zu irreversiblen Blockaden der Wurzelkanäle führen (Abb. 7).

Für die Diagnostik und die folgende Entfernung eines Dentikels sind vor allem gute Ausleuchtung und gute Trocknung der Pulpakammer essentiell, da sich diese in Farbe, Transparenz und Struktur von Dentin, Sekundärdentin oder Tertiärdentin unterscheiden lassen.

Kalzifizierungen

Kalzifizierungen finden sich in älteren Zähnen und bei älteren Patienten nicht selten. Sie beginnen im koronalen Bereich des Zahnes, parallel zur Anlagerung von Hartgewebe zieht sich die Pulpa apikalwärts zurück. Obliterationen sind selten vollständig, häufig findet sich nach intensiver Suche und vorsichtiger Instrumentierung doch noch ein durchgängiger Wurzelkanal. Zur Sondierung werden vor allem feine, leicht vorgebogene Reamer (ISO 10) verwendet, es werden aber auch eine Reihe unterschiedlichster Hilfsmittel zur initialen Darstellung und Präparation kalzifizierter Wurzelkanäle angeboten (Tab. 2, Abb. 8). Der Wurzelkanaleingang findet sich nicht selten erst weit apikal der Schmelz-Zement-Grenze.

Nach der Präparation der primären Zugangskavität wird zunächst das Pulpakavum vollständig dargestellt und alles Hartgewebe entfernt, das den Zugang zu den Wurzelkanälen blockiert. Die Wurzelkanaleingänge werden dargestellt und erweitert. Zur Orientierung kann dienen, dass sekundär oder tertiär gebildetes Dentin sich farblich von regulärem Dentin unterscheidet. Voraussetzungen für die visuelle Differenzierung sind in erster Linie eine gute Ausleuchtung der Kavität und die vollständige Trocknung: Eine mehrsekündige Anwendung des Luftbläsers kann den Feuchtigkeitsfilm im Pulpakavum entfernen, so dass Farbe, Transparenz und die Oberflächenbeschaffenheit der Hartgewebe besser zu erkennen sind. Im Bereich der Furkation mehrwurzeliger Zähne besteht ein erhöhtes Risiko der Perforation (Abb. 9).

Bestimmung der Arbeitslänge

Die endodontische Arbeitslänge wird elektrisch bestimmt und röntgenologisch kontrolliert. Es liegen keine Hinweise auf Änderungen der Zuverlässigkeit elektrischer Messgeräte mit zunehmendem Alter vor. Der Gebrauch von Endometriegeräten bei Patienten mit Herzschrittmachern wird als unbedenklich erachtet27.

Wird die angestrebte Eindringtiefe nicht vollständig erreicht, sollte nicht versucht werden, die Arbeitslänge durch Anwendung von Kraft oder aggressiv schneidenden Instrumenten zu erreichen, da dies häufig in Instrumentenfrakturen, Stufenbildung oder Perforationen resultiert.

Akerblom et al.1 untersuchten Wurzelkanalbehandlungen an 70 Zähnen, deren Instrumentierung bis zum Apex nicht möglich war und ermittelten eine Erfolgsquote von 97,9 %, wenn keine Parododontitis apicalis vorlag, aber nur von 62,5 %, wenn das Röntgenbild eine Läsion zeigte. Hasselgren und Strömberg konnten mit Hilfe eines Kontrastmediums zeigen, dass in 11 von 12 Zähnen mit klinisch und radiologisch nicht darstellbarem Wurzelkanal und mit Parodontitis apicalis ein bis zum apikalen Foramen durchgängiger Wurzelkanal vorhanden war, in 13 von 14 Zähnen ohne Parodontitis apicalis penetrierte die Kontrastlösung nicht bis zur Wurzelspitze13.

Endo-Paro-Probleme

Nicht selten finden sich bei älteren Patienten Zähne, die sowohl endodontale als auch parodontale Läsionen aufweisen, beide können auch ineinander übergehen. Obwohl keine validen Daten vorliegen, muss davon ausgegangen werden, dass kombinierte Läsionen mit endodontischem Ursprung in vielen Fällen alleine durch eine Wurzelkanalbehandlung erfolgreich behandelt werden können, ohne dass ein parodontalchirurgischer Eingriff notwendig ist (Abb. 10). Dieser würde bei endodontisch bedingter Ätiologie der kombinierten Läsion lediglich gesunde Strukturen des Zahnhalteapparates zerstören. Bei parodontaler Ursache der kombinierten Endo-Paro-Läsion gilt die Prognose als deutlich ungünstiger, die Therapie umfasst neben der Parodontalbehandlung bei Pulpanekrose zusätzlich eine Wurzelkanalbehandlung. Am ungünstigsten sind die Erfolgsaussichten, wenn endodontale und parodontale Erkrankungen unabhängig voneinander entstehen und letztlich konfluieren7, 35.

Erfolgsquoten endodontischer Behandlungen bei älteren Patienten

Die Erfolgsquote Pulpa vitalerhaltender Maßnahmen (direkte Überkappung) bei älteren Menschen wird unterschiedlich beziffert. Eine retrospektive 5-Jahres Studie gibt eine Erfolgsrate bei 10- bis 30-Jährigen von über 90 %, bei 50- bis 80-jährigen Patienten aber nur von 70 % an14.

Das Alter hat keinen Einfluss auf die Heilungsraten einer Parodontitis apicalis11,25 (Abb. 11 bis 13). Die Dynamik der Heilung ist vom Allgemeinzustand abhängig: bei gesunden älteren Menschen kann von einem normalen Heilungsprozess ausgegangen werden. Sind ältere Menschen anfällig für bakterielle oder opportunistische Infektionen, kann die Heilung einer periapikalen Läsion langsamer verlaufen28,25.

Bei Patienten mit eingeschränkter Funktion der nichtspezifischen Immunabwehr, darunter Diabetes, Brustkrebs mit Zytostatikatherapie, Gastritis, Kolitis und rheumatischer Arthritis ist ebenfalls mit reduzierten Erfolgsquoten bei endodontischen Behandlungen zu rechnen22. Einer systematischen Datenauswertung der zugänglichen Studien zur Erfolgsquote endodontischer Behandlungen zufolge nimmt die Erfolgsrate endodontischer Behandlungen mit zunehmendem Alter geringfügig ab: für die Altersgruppe < 25 Jahre beträgt sie 68,3–86,9 %, für die Altersgruppe 25–50 Jahre 66,8–86,8 % und für die über 50-Jährigen 65,6 %–78,5 %25. Pro Lebensdekade nimmt die Überlebensrate endodontisch behandelter Zähne um 1–2 % ab23. Bei über 50-Jährigen fand sich ein signifikant häufigerer Verlust endodontisch behandelter Zähne3.

Schlussfolgerungen

Endodontische Maßnahmen bei älteren Patienten spielen aufgrund des Trends zu längerer Zahnerhaltung eine zunehmend wichtigere Rolle. Durch adäquate Diagnostik und sorgfältig durchgeführte Therapie können bei älteren und alten Menschen viele natürliche Zähne erhalten, Implantate oder herausnehmbarer Zahnersatz vermieden und die Lebensqualität dieser Patienten durch konservative, zahnerhaltende Therapie erhöht werden. Die endodontische Behandlung unterliegt aus biologischen anatomischen und auch psychologischen Gründen einigen Besonderheiten, auch allgemeingesundheitliche Aspekte müssen berücksichtigt werden. Nicht für jeden älteren Patienten stellt eine Wurzelkanalbehandlung die optimale Behandlung dar. Die Durchführung der Wurzelkanalbehandlung verlangt die gleiche Präzision und Sorgfalt wie bei jüngeren Patienten.

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Reference: Zeitschrift für Senioren-Zahnmedizin, Ausgabe 2/13 Alterszahnmedizin

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