Am 21. September 2023 erließ das Oberlandesgericht Frankfurt einen Beschluss (Az.: 6 W 69/23), der zwar nur fünf Seiten umfasste, dessen Sprengkraft und Folgen für den medizinischen Sektor aber noch nicht ganz abgeschätzt werden können. Im Mittelpunkt der Diskussion steht das Medizinische Versorgungszentrum, kurz MVZ, welches wie so oft den Gegenstand der Rechtsprechung bildet, seit es 2003 eingeführt wurde.
Genauer geht es um den Anwendungsbereich der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und inwiefern die MVZ von diesem umfasst sind. Aufgrund der Parallelen und des ähnlichen Regelungsbereichs ließe sich die Entscheidung ohne Weiteres auch auf die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) übertragen, sollte sie sich durchsetzen.
Grundlage des Beschlusses war eine wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzung zwischen zwei Unternehmen, die online ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der Behandlung mit Cannabis angeboten haben. Hierbei kooperierte eins der Unternehmen mit Ärzten und bot bei den Behandlungen Rabatte und Sonderpreise für die Patienten an. Die Behandlungsverträge schlossen die Patienten dabei direkt mit dem MVZ. Die Ärzte haben die vereinbarten Behandlungen sodann als Erfüllungsgehilfen durchgeführt.
Hiergegen wehrte sich ein Konkurrenzunternehmen, welches ähnliche Leistungen anbietet, mit einem Antrag auf eine einstweilige Verfügung unter Verweis auf das zwingende Preisrecht der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und einen möglichen daraus resultierenden wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch (aus Paragraf 8 Abs. 3 Nr. 1, 3a Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – UWG – in Verbindung mit Paragrafen 1, 5 GOÄ), wonach die Antragsgegnerin das Bewerben ärztlicher Leistungen mit Rabatten oder Sonderpreisen einzustellen habe.
MVZ laut OLG nicht an die GOÄ gebunden
Das OLG lehnte den Antrag des Konkurrenzunternehmens ab und stellte in seinem Beschluss fest, dass Kapital- (und Personengesellschaften) im Rahmen von Behandlungsverträgen nach Paragraf 630a Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit Patienten nicht an die GOÄ gebunden seien, sofern sie als Leistungserbringer und Behandelnder Vertragspartei seien. Dabei beruft sich das OLG auf den Wortlaut des Paragrafen 1 Absatz 1 GOÄ, wonach ausschließlich Ärzte vom Anwendungsbereich der GOÄ erfasst seien und ihre Leistungen nach der GOÄ berechnen müssen. Für MVZ (also Kapital- oder Personengesellschaften) gelte die GOÄ demnach nicht.
Hinzu kommt, dass Behandlungsverträge im Sinne des Paragrafen 630a BGB weder formbedürftig noch exklusiv Ärzten vorbehalten seien und ein MVZ ohne weiteres Behandlungsverträge mit Patienten abschließen könne und für die Leistungen an Selbstzahlern das Honorar unabhängig von der GOÄ vereinbaren könne.
Sollte sich diese Ansicht durchsetzen, würde das nicht nur ungeahnte Folgen für die Preisgestaltung im medizinischen Bereich haben, sondern auch gesetzgeberische Wertungen aushebeln und eine klaffende Gesetzeslücke aufzeigen.
Widerspruch zur Intention von GOÄ und zur GOZ
Mit der Ansicht, dass eine (Zahn-)Ärzte-GmbH nicht vom Anwendungsbereich der GOÄ und der GOZ umfasst sei, steht das OLG jedenfalls nicht allein da.1 So legt das OLG den Wortlaut der GOÄ eng aus und schließt juristische Personen vom Wortlaut her von der Anwendung der GOÄ (und der GOZ) aus. Diese reine Wortlautargumentation greift allerdings viel zu kurz und lässt den Schutzzweck und den Sinn der GOÄ und GOZ völlig außer Acht.
Die GOÄ und die GOZ stellen einen Ausfluss des grundgesetzlich verankerten Sozialstaatsprinzips dar, indem durch die Einschränkung der Vertragsfreiheit zwischen Patienten und Ärzten die Patienten durch eine einheitliche und transparente Preisgestaltung und einen angemessenen Interessenausgleich geschützt werden sollen.2 So sollen die Gebührenordnungen als eine gerechte Grundlage in der Abrechnung ärztlicher Leistungen dienen und für Vertrauen zwischen Ärzten und Patienten und im deutschen Gesundheitssystem sorgen. Gleichzeitig wird auch ein Preiskampf verhindert, der insbesondere auch auf die Qualität von medizinischen Leistungen in Deutschland negativen Einfluss haben kann.
Diese Wertungen spiegeln sich auch in Paragraf 11 der Bundesärzteordnung und Paragraf 15 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde wider, welche die Ermächtigungsgrundlagen für die GOÄ und die GOZ darstellen. Hiernach „ist den berechtigten Interessen der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten Rechnung zu tragen.“
So sieht dies auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) auf Nachfrage von Quintessence News.3 Allerdings greift auch der Begründungsansatz der BZÄK, wonach die Rechtslage eindeutig sei, weil sich der Paragraf 1 Absatz 1 der GOZ ausschließlich auf denjenigen beziehe, der die zahnärztliche Leistung erbringt, zu kurz. Denn so würden die GOÄ (und die GOZ) auch in Bezug auf den Krankenhausaufnahmevertrag gelten, bei denen die angestellten Ärzte ebenfalls als Erfüllungsgehilfen tätig werden. Dies wird ebenfalls abgelehnt.4
LG München I: Erbringen einer ärztlichen Leistung
Das Landgericht (LG) München I (Urteil vom 19. Dezember 2020, Az.: 17 HK O 11322/18) hingegen sieht eine Anwendbarkeit der GOÄ auf die GmbH als gegeben an und begründet dies ähnlich wie die BZÄK damit, dass sich die GmbH zur Erbringung der ärztlichen Leistung Dritter, also Ärzten bediene. Es komme für die Anwendbarkeit der GOÄ (und der GOZ) nicht auf den Vertragspartner an, sondern auf den Inhalt des Vertrags. Und sei dieser eben die Erbringung einer ärztlichen Leistung, müsse die Abrechnung eben nach der gesetzlichen Gebührenordnung vorgenommen werden, ganz egal, ob der Behandlungsvertrag mit einer Kapitalgesellschaft oder dem behandelnden Arzt abgeschlossen wurde.5
Zweck der Gebührenordnung berücksichtigen
Während das OLG Frankfurt sich einzig und allein auf den Wortlaut stützt und diesen eng auslegt, bezieht das LG München I in seiner Entscheidung den in der Ermächtigungsgrundlage zum Ausdruck kommenden Zweck der Gebührenordnung mit ein. Es geht sogar so weit, dass es eine einschränkende Auslegung des Wortlauts ausdrücklich ablehnt, da diese der Ermächtigungsgrundlage nicht gerecht werde. Es sei nicht ersichtlich, warum die Interessen der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten weniger schutzwürdig seien, wenn die ärztliche Tätigkeit durch einen Berufsträger erbracht werde, der von einer juristischen Person beschäftigt sei, die Vertragspartner des Patienten werde. Der Gesetzeszweck könne nicht einfach durch eine Auslagerung auf juristische Personen umgangen werden.
OLG Köln hält Pauschalvereinbarungen mit juristischer Person für nichtig
Zu dem gleichen Schluss ist das OLG Köln in einem Urteil vom 16. August 2023 (Az.: 5 U 32/22) gekommen, dessen Entscheidung ebenfalls der Kern zugrunde lag, ob die Beklagtenpartei als juristische Person bei der Abrechnung an die GOÄ gebunden sei. Es sah damit eine Pauschalhonorarvereinbarung zwischen einem Patienten und einer juristischen Person als nichtig an und hat dies umfassend begründet und sich mit der weiten Auslegung des Wortlauts und des Anwendungsbereiches der GOÄ auch der Ansicht des Bundesgerichtshofs angeschlossen.6
Der Wortlaut des Paragrafen 1 Absatz 1 GOÄ differenziere nicht zwischen selbständigen und angestellten Ärzten, sondern stelle ausschließlich auf die beruflichen Leistungen der Ärzte ab. Eine andere Ansicht würde den berechtigten Interessen der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten nicht ausreichend Rechnung tragen. Das OLG Köln betont auch die drohende Missbrauchsgefahr, die dadurch entstehe, dass sich Ärzte dem zwingenden Preisrecht der GOÄ so einfach entziehen könnten. Dabei zieht das OLG auch den Vergleich zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, welches ebenfalls ein bindendes öffentliches Preisrecht darstelle und auch keine Unterscheidung dahingehend vornehme, ob der Vertragspartner eine natürliche oder eine juristische Person sei.
Interessengerechte Auslegung notwendig
Die Ansichten des LG München I und des OLG Köln überzeugen mehr. Das OLG Frankfurt hat es sich in seinem Beschluss vom 21. September 2023 sehr einfach gemacht und den Wortlaut der GOÄ eng ausgelegt, ohne dabei eigene Erwägungen anzustellen und den Sinn und Zweck der GOÄ zu betrachten. Ein Blick hierauf macht aber deutlich, dass es einer interessengerechten Auslegung bedarf, die sowohl die Schutzwürdigkeit der Patienten miteinbezieht als auch den Zweck eines bindenden öffentlichen Preisrechts. Daher ist die weite Auslegung des Wortlauts des Paragrafen 1 Absatz 1 GOÄ vorzugswürdig, da nur so der Zweck der Gebührenordnung gewahrt und geschützt wird.
Rechtsunsicherheiten: Gesetzgeber ist gefragt
Die unterschiedlichen Ansichten in Literatur und Rechtsprechung zeigen auf, dass die geltende Rechtslage Rechtsunsicherheiten mit sich bringt, weswegen auch deutlich davon abzuraten ist, sich als (Zahn-)Ärzte-GmbH bei der Abrechnung ärztlicher Leistungen nicht an die Gebührenordnung zu halten.
Dass sich die Ansicht des OLG Frankfurt durchsetzt, ist nicht zu erwarten, lässt sich allerdings auch nicht vollkommen ausschließen. Es sprechen aber die überzeugenderen Argumente dafür, dass eine Umgehung der Gebührenordnungen mit Hilfe einer juristischen Person auch nach der Entscheidung des OLG Frankfurt keine legitime Möglichkeit darstellt.
Die letzte Neufassung der GOÄ erfolgte 1982. Seitdem gab es fünf Verordnungen zur Änderung der GOÄ.7 Eine Neufassung ist also dringend notwendig und wird auch vorangetrieben8, steht allerdings aktuell nicht oben auf der politischen Agenda. Ähnliches gilt für die GOZ. Es ist also der Gesetzgeber gefragt, der Rechtsunsicherheit und der Gefahr eines Missbrauchs entgegenzutreten und den Wortlaut von Paragraf 1 Absatz 1 der GOÄ und der GOZ abzuändern, um einen Preiskampf im Bereich ärztlicher Leistungen zu verhindern und den Zwecken der Gebührenordnungen weiterhin Durchsetzung zu verschaffen.
Dr. Karl-Heinz Schnieder, Referendar Sönke Griebenburg, Münster
Dr. Karl-Heinz Schnieder ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Mediator (cfm). Nach seinem Studium war er zwei Jahre als Referatsleiter Recht der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe tätig, seit 1994 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.
Schnieder ist Geschäftsführender Partner der Rechtsanwaltskanzlei „KWM LAW“ mit Standorten in Münster, Berlin, Hamburg, Hannover, Bielefeld, Essen. Er ist Lehrbeauftragter der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der privaten Hochschule für Logistik und Wirtschaft, SRH Hamm. Schnieder ist auch als Autor und Referent tätig mit zahlreichen Publikationen zum Arzt-, Zahnarzt- und Tierarztrecht und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltsverein; der Deutschen Gesellschaft für Kassenarztrecht e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen.
Neben seiner juristischen Tätigkeit ist er auch Initiator und Gründer der Gesundheitsregion-Stadt e.V., medizinische Netzwerke in Deutschland mit zurzeit zehn Gesundheitsregionen in Deutschland www.gesundheitsregion-deutschland.de. Kontakt zum Autor unter schnieder@kwm-law.de. Foto: kwm
Literatur
[1] vgl. Spickhoff in Medizinrecht, GOÄ § 1 Rn. 6.
[2] Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 043/22; Einheitliche Vergütung im dualen Krankenversicherungssystem, S.10; LG München I, Urt. v. 19.12.2019 – 17 HK O 11322/18, Rn. 19; BGH Urt. 12.11.2019 – III ZR 110/09.
[3] https://www.quintessence-publishing.com/deu/de/news/nachrichten/politik/bzaek-goz-ist-fuer-alle-zahnaerzte-gueltig (Stand 28.01.2024).
[4] vgl. Spickhoff in Medizinrecht, GOÄ § 1 Rn. 6.
[5] LG München I, Urt. v. 19.12.2019 – 17 HK O 11322/18.
[6] OLG Köln, Urt. v. 16.08.2023 – 5 U 32/22 (openJur 2024,889).
[7] Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019 Teil I Nr. 37
[8] https://www.bundesaerztekammer.de/themen/aerzte/honorar/goae-novellierung (Stand 28.01.2024).