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Diskrepanz zwischen Leistungsbeschreibung und moderner Zahnmedizin – Praxistipp von Dr. Alexander Raff

Ausschnitt aus den Formblättern zur klinischen Funktionsanalyse des DentaConcept Verlags.

(c) dentaConcept Verlag GmbH

Grundlage vieler funktionsanalytischer und funktionstherapeutischer Behandlungsmaßnahmen ist die Erhebung einer klinischen Funktionsanalyse. Insofern nimmt auch die GOZ-Nummer 8000 eine zentrale Stellung bei der Berechnung funktionsanalytischer und -therapeutischer Maßnahmen ein. Die Weiterentwicklung der fachlichen Grundlagen der Funktionsdiagnostik wird dabei selten so deutlich wie bei der Betrachtung der Leistungslegende der GOZ-Nummer 8000, der „klinische[n] Funktionsanalyse einschließlich Dokumentation“.

Offensichtlich wird die Diskrepanz zwischen Gebührenordnung einerseits und fachlichem Stand andererseits insbesondere dann, wenn man sich die Berechnungsbestimmung dieser Gebührennummer, die 2012 bei der GOZ-Reform unverändert aus der GOZ von 1988 übernommen wurde, vergegenwärtigt: „Die Leistung nach der Nummer 8000 umfasst auch folgende zahnärztliche Leistungen: prophylaktische, prothetische, parodontologische und okklusale Befunderhebung, funktionsdiagnostische Auswertung von Röntgenaufnahmen des Schädels und der Halswirbelsäule, klinische Reaktionstests (z. B. Resilienztest, Provokationstest).“

Zahnärzte sind in Deutschland nach dem Zahnheilkundegesetz verpflichtet, die Zahnheilkunde nach aktuellem Stand der Wissenschaft auszuüben. Diese Berufsausübung in Übereinstimmung zu bringen mit der in Teilen inhaltlich veralteten Gebührenordnung ist schwierig. Der vorliegende Beitrag schildert am Beispiel der GOZ-Nummer 8000 auch dieses Problem im Detail. Im Zusammenhang mit der klinischen Funktionsanalyse ist es wichtig, die wissenschaftlichen Neuerungen inhaltlich von der GOZ-Nummer 8000 abzugrenzen, zumal in den letzten Dekaden genau in diesem Bereich enorme Weiterentwicklungen und Auffächerungen der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik erfolgt sind.

Dieser Beitrag stammt aus der „Zeitschrift für Kraniomandibuläre Funktion“ (CMF) der Quintessenz Verlags-GmbH. Die Zeitschrift berichtet bilingual in Deutsch und Englisch über neue Entwicklungen in Klinik und Forschung. Sie nimmt aktuelle Original- und Übersichtsarbeiten, klinische Fallberichte, interessante Studienergebnisse, Tipps für die Praxis, Tagungsberichte sowie Berichte aus der praktischen Arbeit aus der gesamten Funktionsdiagnostik und -therapie auf. Vierteljährlich informiert sie über Neuigkeiten aus den Fachgesellschaften und bringt aktuelle Kongressinformationen und Buchbesprechungen. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.

Definition der klinischen Funktionsanalyse

Die klinische Funktionsanalyse nach der GOZ-Nummer 8000 ist ein funktionsdiagnostisches Untersuchungsverfahren, dass ohne aufwendige technische Instrumente auskommt. Der Begriff „klinisch“ ist insofern als Abgrenzung zur „instrumentellen Funktionsanalyse“ zu verstehen (welche unter den GOZ-Nummern 8010ff. subsummiert wird).

Inhaltlich dient die klinische Funktionsanalyse dazu, aus der Erfassung der entsprechenden Befunde und deren Auswertung den Funktionszustand des Kauorgans (craniomandibuläres System, CMS) zu ermitteln. Das CMS beinhaltet alle mit diesem System funktionell in Verbindung zu bringenden Gewebe oder Funktionseinheiten (Muskeln, Kiefergelenk, Ober- und Unterkiefer, Zähne, Zahnhalteapparat, Zunge, Weichteile, Gewebe zur Stabilisierung der Kopfhaltung, neuromuskuläres System etc.). Auf dieser Grundlage sind Schlüsse für die erforderliche weitere Diagnostik beziehungsweise eine geeignete Therapie zu ziehen. Dabei ist nach Einschätzung der zuständigen Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) „die klinische Funktionsanalyse für die Untersuchung von Patienten mit craniomandibulären Dysfunktionen als grundlegend anzusehen“1; die klinische Funktionsanalyse bildet die Grundlage der funktionsanalytischen Diagnostikkaskade. Aus den Ergebnissen der klinischen Funktionsanalyse „kann sich die Indikation für die Durchführung einer instrumentellen Funktionsanalyse, die Anwendung bildgebender oder anderer konsiliarischer Verfahren ergeben“1.

Entwicklung der klinischen Funktionsanalyse

Die klinische Funktionsanalyse ist als Untersuchungsverfahren über mehrere Jahrzehnte entwickelt worden. Wegweisende Publikationen sind in den 50er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erfolgt und haben das Untersuchungsverfahren grundsätzlich in der heutigen Form begründet2,3.

In Deutschland ist auf dieser Grundlage 1985 von der DGFDT – damals noch unter der Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaft für Funktionsdiagnostik“ (AGF) – ein erster „klinischer Funktionsstatus“ entwickelt worden4. Der Inhalt des damaligen Funktionsstatus bildete die Grundlage für die Leistungsbeschreibung in der kurz darauf verordneten Fassung der Gebührenordnung für Zahnärzte von 1988 (GOZ 1988), die erstmals ein eigenes Kapitel „Funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen“ beinhaltete. Die Leistung war in deren Gebührenverzeichnis unter der Leistungsnummer 800 geführt und trug seinerzeit die Bezeichnung „Befunderhebung des stomato­gnathen Systems nach vorgeschriebenem Formblatt“.

In der Folge hat sich diese Bezeichnung als problematisch erwiesen, weil sie nicht klar vorgab, ob ein bestimmtes Formblatt vorgeschrieben sei. Implizit gemeint war der Befundbogen der AGF, der drei Jahre vor Veröffentlichung der Gebührenordnung publiziert worden war. Im Nachhinein hat hierzu dann das Bundesministerium für Gesundheit in einer ministeriellen Antwort erläutert, dass es dem Zahnarzt freigestellt sei, welcher Befundbogen tatsächlich Verwendung findet.

Da sich die Befundung auf einem Formblatt mittlerweile weltweit durchgesetzt hatte, konnte das Ministerium bei der Neufassung der Gebührenordnung im Jahre 2012 und der Umbenennung der Leistung in die „klinische Funktionsanalyse“ auf jenen Nachsatz verzichten.

Zwischen der Veröffentlichung der Gebührenordnung 1988 und der Revision im Jahre 2012 wurden zahlreiche Studien, Konsensusartikel und Lehrbücher veröffentlicht, welche die (klinische) Funktionsdiagnostik enorm weiterentwickelt haben. Eine der wesentlichen Weiterentwicklungen betrifft die Auswertung der Untersuchung. Ursprünglich war die Befunderhebung des stomato­gnathen Systems noch nicht mit einer Diagnose abgeschlossen worden; dies erfolgte erst nach dem „großen Analysegang“. Die fachliche Weiterentwicklung führte seither zur Veröffentlichung einer Reihe von Diagnosesystemen zur Auswertung der erhobenen Befunde. Beispiele hierfür sind:

  • Das 1998 in den Vereinigten Staaten von Okeson (Lexington/Kentucky, USA) veröffentlichte Diagnosesystem.
  • Das in Deutschland 1992 von Freesmeyer (Berlin) veröffentlichte Diagnosesystem, das wiederum 1995 von Fuhr und Reiber (Mainz) übernommen wurde.
  • Das als Weiterentwicklung 2001 von Ahlers, Frees­meyer, Hugger, Jakstat, Meyer und Simonis (Berlin, Düsseldorf, Greifswald, Hamburg und Leipzig) vorgestellte Diagnosesystem, welches mittlerweile von der DGFDT übernommen wurde5.
  • Das unter der Ägide von Dworkin und LeResche (Seattle/WA, USA) entwickelte System zur Auswertung der Funktionsbefunde im Rahmen wissenschaftlicher Studien, die Research Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders, RDC/TMD6.
  • Die Weiterentwicklung der RDC/TMD unter Federführung von Schiffman (Minneapolis/MN, USA) zu den Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders, DC/TMD7,8.

All diesen Systemen gemeinsam ist die Auswertung der Funktionsbefunde aus der klinischen Funktionsanalyse in Form einer differenzierten Diagnose. In der Neufassung der GOZ 2012 hat der Gesetzgeber dieser Weiterentwicklung Rechnung getragen und die Leistung umbenannt in die „klinische Funktionsanalyse“. Die Bezeichnung der Leistung aus den 80er-Jahren als „Befunderhebung des stomatognathen Systems“ hatte implizit bedeutet, dass auf Grundlage dieser Untersuchung noch keine Diagnose gestellt wurde.

Beispiele für derartige Diagnosen nach dem System der DGFDT wären:

  • Craniomandibuläre Dysfunktion mit Myopathie der Elevatoren und der Hilfsmuskulatur des craniomandibulären Systems.
  • Craniomandibuläre Dysfunktion mit Myopathie der Elevatoren, der Protraktoren rechts und der Retraktoren links; Arthropathie mit Diskusverlagerung mit Reposition links und Kondylusverlagerung nach retrokranial links und Kapsulitis links; Okklusopathie mit gestörter statischer und dynamischer Okklusion.

Stellung der klinischen Funktionsanalyse in der Diagnostikkaskade

Die klinische Funktionsanalyse bildet die Grundlage der funktionsanalytischen Diagnostikkaskade. Im Grunde ergibt sich aus der klinischen Funktionsanalyse nach der GOZ-Nummer 8000, ob darüber hinaus weitere klinische funktionsanalytische Untersuchungen wie die manuelle Strukturanalyse9 oder instrumentelle Funktionsanalysen (nach GOZ-Nrn. 8010ff.) erforderlich sind.

Abgrenzung zum CMD-Screening beziehungsweise dem CMD-Kurzbefund

Um zu prüfen, ob der Aufwand für die Durchführung der klinischen Funktionsanalyse begründet ist, wurden in der Vergangenheit verschiedene Ansätze zur Entwicklung vereinfachter CMD-Screening-Tests veröffentlicht. Erste Hinweise in dieser Richtung veröffentlichte ebenfalls Krogh-Poulsen mit seiner „kleinen Funktionsanalyse“. Eine Weiterentwicklung veröffentlichten Ahlers und Jakstat um die Jahrtausendwende als „CMD-Kurzbefund“ auf der Grundlage einer kontrollierten randomisierten klinischen Studie10,11. Der CMD-Kurzbefund ist mittlerweile weit verbreitet und von der Rechtsprechung zur zahnärztlichen Haftung als aktueller Fachstandard in der Zahnmedizin anerkannt (vgl. zum Beispiel OLG München, Az.: 3 U 5039/13 vom 18. Januar 2017).

Mittlerweile hat auch die DGFDT einen Vorschlag für ein CMD-Screening veröffentlicht12.

Sowohl das CMD-Screening in Form des CMD-Kurzbefundes nach Ahlers/Jakstat als auch das CMD-Screening der DGFDT werden strukturiert ausgewertet, wie dies auch beim Periodontal Screening Index (PSI) erfolgt. Mit dieser Auswertung liefert das CMD-Screening begründete Anzeichen für das Vorliegen einer craniomandibulären Dysfunktion – oder eben nicht.

Im positiven Fall vorliegender Anzeichen ist eine klinische Funktionsanalyse nach der GOZ-Nummer 8000 als weitere Untersuchung erforderlich. Der CMD-Kurzbefund beziehungsweise das CMD-Screening stellen daher keine Verkürzung der klinischen Funktionsanalyse dar, sondern es handelt sich beim CMD-Screening um ein eigenes Untersuchungsverfahren im Rahmen der Basisdiagnostik, welches nicht der Stellung einer Diagnose dient, sondern der Risikoprüfung, ob eine begründete Veranlassung zur Durchführung einer klinischen Funktionsanalyse im Sinne einer erweiterten Untersuchung besteht.

Indikation der Funktionsanalyse

Den Indikationsbereich und die Ziele der klinischen Funktionsanalyse hat die DGFDT als zuständige Fachgesellschaft in einer wissenschaftlichen Stellungnahme beschrieben1. Demnach kann die klinische Funktionsanalyse in folgenden Fällen indiziert sein (verkürzte Wiedergabe):

  • Verdacht auf das Vorliegen funktionell bedingter Zahn-, Kiefergelenk- und Muskelerkrankungen (craniomandibuläre Dysfunktion, CMD).
  • Entscheidung über die Notwendigkeit weiterer differenzierender bzw. bestätigender zahnärztlicher und ärztlicher Untersuchungsverfahren.
  • Bei der Notwendigkeit rekonstruktiver Maßnahmen im Kauorgan; hierbei ist die Indikation funktionsanalytischer Untersuchungen medizinisch-wissenschaftlich nicht an eine bestimmte Anzahl behandlungsbedürftiger Zähne gebunden.
  • Kieferorthopädische Behandlungsplanung.
  • Funktionelle Nachuntersuchung des craniomandibulären Systems im Rahmen der Funktionstherapie (Verlaufskontrolle).
  • Konsiliarische Untersuchung bei Problemen des allgemeinen Halte- und Bewegungsapparates bzw. des Hörorgans (Co-Diagnostik bei Tinnitus etc.)

Die Aufstellung der DGFDT macht deutlich, dass funktionsanalytische Leistungen in den genannten klinischen Situationen medizinisch indiziert sind. Die Durchführung einer klinischen Funktionsanalyse nach der GOZ-Nr. 8000 ist allerdings nicht grundsätzlich eine Voraussetzung beispielsweise vor einer rekonstruktiven oder kieferorthopädischen Behandlung. In diesen Fällen verlangt die jüngste Rechtsprechung, dass das Fehlen auffälliger Funktionsbefunde durch entsprechende Screeningbefunde vorab überprüft wurde. (OLG München, Az.: 3 U 5039/13 vom 18. Januar 2017).

Inhalte der klinischen Funktionsanalyse

Die wesentlichen Untersuchungsinhalte der klinischen Funktionsanalyse sind bei allen Konzepten strukturell gleich und beinhalten die folgenden Anamnesen und Befunde:

  • Spezielle Anamnese in Bezug auf Schmerzen und sonstige Beobachtungen, die auf das Vorliegen einer craniomandibulären Dysfunktion hindeuten und diese bereits teilweise eingrenzen lassen.
  • Palpation der Kaumuskulatur zur Aufdeckung von Missempfindungen und Schmerzen sowie zur Identifikation von geweblichen Veränderungen, speziell Verhärtungen der Muskulatur (Myogelosen).
  • Palpation der Kiefergelenke zur Aufdeckung von Miss­empfindungen und Schmerzen, die in diesem Fall auf ein entzündliches Geschehen zurückgingen.
  • Auskultation der Kiefergelenke zur Identifikation und Einordnung von Gelenkgeräuschen, wie Knacken und Reiben (Krepitation).
  • Inspektion der Bewegung des Unterkiefers in der Vertikalen zur Überprüfung der Weite der Kieferöffnung, des Bewegungsverlaufs sowie in der Horizontalen nach rechts, links und nach anterior.
  • Orientierende Auswertung der Okklusion zur Bewertung der statischen und dynamischen Okklusion mit dem Ziel der Aufdeckung von Überlastungen (Suche nach unphysiologischen Kontakten in zentrischer Kieferrelation und in habitueller Okklusion sowie Suche nach unphysiologischen Laterotrusions- und Mediotrusionskontakten).
  • Auswertung parodontaler Befunde zur Aufdeckung funktioneller Überlastungen, das heißt, prophylaktische beziehungsweise parodontologische Befunderhebung unter funktionellen Aspekten (Auftreten parodontaler Befunde als Zeichen funktioneller Überlastungen, wie Rezessionen, McCallsche Girlanden, Stillman-Spalten).
  • Auswertung von Weichgewebebefunden, die Hinweise auf erhöhte dysfunktionelle Belastungen geben (zum Beispiel Wangenimpressionen, Zungenindentationen).
  • Bestimmte Reaktionstests: „Provokationstest“ und „Resilienztest“. Hiermit gemeint sind der Provokationstest nach Krogh-Poulsen sowie der Resilienztest nach Gerber, die an das Vorhandensein von Okklusion gebunden sind und in speziellen Situationen zusätzliche Auswertungen ermöglichen. Dabei prüft der Provokationstest nach Krogh-Poulsen, ob beim festen Zusammenbeißen der Zähne in einer definierten Position und Richtung vom Patienten anamnestisch angegebener Schmerz ausgelöst beziehungsweise gleichsam „provoziert“ wird – daher die Bezeichnung. Im Gegensatz dazu zielt der Resilienztest nach Gerber darauf ab, durch das Prüfen einseitig interokklusal im hinteren Seitenzahnbereich eingebrachter Metallfolien kalibrierter Stärke die Resilienz des Kiefergelenkes zu bewerten, welche dann gegeben sein soll, wenn auf der Gegenseite jeweils noch eine hauchdünne Prüffolie gehalten werden kann. Speziell zum Resilienztest nach Gerber liegen in der Wissenschaft sehr verschiedene Bewertungen vor.
  • Erstellung einer strukturierten Initialdiagnose: Die klinische Funktionsanalyse schließt mit einer Auswertung in Form einer Diagnose ab (siehe oben).

In den Berechnungsbestimmungen der GOZ-Nummer 8000 findet sich der Hinweis, dass diese Leistung prophylaktische, prothetische, parodontologische und okklusale Befunderhebungen umfasst. Durch die oben erläuterte Aufzählung der Leistungsinhalte ist dieser Berechnungsbestimmung vollauf Genüge getan. Allerdings enthält die Berechnungsbestimmung noch den Hinweis auf funktionsdiagnostische Auswertungen von Röntgenaufnahmen des Schädels und der Halswirbelsäule. Dieser Verweis entspricht offensichtlich nicht mehr dem Stand der Wissenschaft:

  • So beschreibt die 2013 erschienene DVT-Leitlinie13 im Abschnitt 7.7 Kiefergelenk: „Bei der überwiegenden Mehrheit von Patienten mit symptomatischen Kiefergelenksbeschwerden sind Röntgenaufnahmen nicht zielführend, da knöcherne Abnormalitäten der Kiefergelenke hier nur selten auftreten und häufig nicht mit den Beschwerden korrelieren. In diesen Fällen ist eine Röntgendiagnostik nicht indiziert (European Commission, 201214). Die Kiefergelenkdiagnostik mittels Röntgentechniken ist nur bei knöchernen Fragestellungen zielführend (European Commission, 2012). Für die Darstellung knöcherner Strukturen hat die American Academy of Oral and Maxillofacial Radiology schon 1997 axial korrigierte, sagittale Tomogramme oder Computertomographien (CT) empfohlen (Brooks et al.15). Da die Befundung derartiger Untersuchungen aber Bestandteil der betreffenden radiologischen Untersuchungen ist, kann sie nicht Teil der klinischen Funktionsanalyse sein.
  • Strukturell das gleiche gilt für die Befundung von Pa­noramaröntgenbildern. Hier konnte die Arbeitsgruppe der Heidelberger Universitätszahnklinik um Schmitter schon 2006 zeigen, dass die Übereinstimmung der Befunde in Panoramaübersichtsaufnahmen mit Ma­­gnetresonanztomographien (MRT) als Goldstandard nicht gut ist16. Demnach eignet sich die Panoramaübersichtsaufnahme höchstens als kostengünstige, gut verfügbare und risikoarme initiale Bildgebung im Sinne eines Screenings auf eine fortgeschrittene knöcherne Kiefergelenkbeteiligung. Das OPG kann zudem die Folgen von Entzündungen im Knochenbereich darstellen, welche schmerzgebend sein können. Auch hier ist die Befundung der Aufnahme aber bereits Teil der betreffenden bildgebenden Leistung.

Daher sollte in einer Überarbeitung der GOZ dieser überholte Hinweis entfernt werden. Das gleiche gilt im Übrigen auch für die „Reaktionstests“, zumindest hinsichtlich des Resilienztests nach Gerber, dessen Reproduzierbarkeit in der jüngeren Literatur infrage gestellt wird.

Dokumentation der Analyseergebnisse

Die Einzelbefunde der klinischen Funktionsanalyse sollten jeweils in einem Erhebungsbogen bzw. Formblatt eingetragen werden. Das Formblatt zielt darauf ab, die entsprechenden Befunde übersichtlich darzustellen und erleichtert so den Vergleich von Befunden zu verschiedenen Zeitpunkten der Behandlung. Die wissenschaftliche Stellungnahme der DGFDT verweist explizit auf „Initialbefunde sowie ggf. erhobene Zwischen- und Endbefunde“.

Die Dokumentation kann in Papierform vorgelegt werden oder – im Zeitalter der Digitalisierung – digital als ausgefülltes PDF (Abb. 1 und 2).

Im Zeitalter der Digitalisierung markiert eine volldigitale Erfassung mittels spezieller Software (zum Beispiel CMDfact, dentaConcept Verlag, Hamburg) den aktuellen Stand. Letztere ermöglicht es auch, die Befunde aus der klinischen Funktionsanalyse in der Folge inhaltlich strukturiert auszuwerten und mit den Befunden aus anderen funktionsdiagnostischen Untersuchungen abzugleichen.

Die Auswertung erfolgt durch Zuordnung der Einzelbefunde zu den verschiedenen möglichen Diagnosen bzw. diagnostischen Subgruppen. Für die klinische Funktionsanalyse ist dabei die Bezeichnung der auf dieser Grundlage gestellten Diagnose als „Initialdiagnose“ von der DGFDT eingeführt. Der Begriff hebt darauf ab, dass die gestellte Diagnose durch Ergänzungen mittels erweiterter und weiterführender diagnostischer Verfahren überprüft und verfeinert wird, vergleichbar mit anderen medizinischen Disziplinen, wo ebenfalls mittels verschiedener Untersuchungen ein möglichst verlässliches klinisches Bild erreicht werden soll.

Berechnung der klinischen Funktionsanalyse

Die Berechnung der klinischen Funktionsanalyse erfolgt auf Grundlage der GOZ-Nr. 8000 aus dem Gebührenverzeichnis der GOZ. Leistungsinhalt sind die oben beschriebenen Untersuchungstechniken und deren Dokumentation sowie eine hieraus resultierende Diagnosestellung.

Die GOZ-Nummer 8000 kann neben einer zahnärztlichen Allgemeinuntersuchung („eingehende Untersuchung“) nach GOZ-Nr. 0010 erfolgen. Auch die Erhebung eines Parodontalstatus nach der GOZ-Nr. 4000, kieferorthopädische Auswertungen (GOZ-Nrn. 6000 bis 6020) oder implantat-bezogene Analysen (GOZ-Nr. 9000) sind wegen des gesonderten Leistungsinhalts neben der GOZ-Nr. 8000 berechnungsfähig. Das Gleiche gilt für andere weiterführende Untersuchungen, wie beispielsweise die manuelle Strukturanalyse, oder spezielle Tests zur Beurteilung orthopädischer oder psychosomatischer Kofaktoren, die nicht im Leistungsumfang der klinischen Funktionsanalyse enthalten sind (siehe unten). Auch die Maßnahmen der instrumentellen Funktionsanalyse werden gesondert berechnet.

Abgrenzung des Leistungsinhalts von weiteren funktionsanalytischen Leistungen

Mit dem Wechsel von der GOZ 1988 auf die GOZ 2012 wurde die Bezeichnung der „Befunderhebung des stomatognathen Systems (…)“ ersetzt durch die „klinische Funktionsanalyse“ und die Nummerierung der Leistung von GOZ 800 auf GOZ 8000 geändert. Der Leistungsinhalt und die Leistungsbewertung hingegen blieben unverändert – mit Ausnahme der Feststellung, dass das Stellen einer Diagnose nunmehr ebenfalls Teil der Leistung sei.

Daher können alle neuen Leistungen, die seit 1988 neben den im Leistungsumfang der GOZ 800 enthaltenen Befunden entwickelt wurden, nicht Teil der Leistung „klinische Funktionsanalyse“ sein und sind mithin von dieser inhaltlich abzugrenzen. Dies ist umso wichtiger, als gerade in diesem Bereich in den vergangenen 32 Jahren enorme Weiterentwicklungen und Auffächerungen der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik erfolgt sind (Abb. 3).

Abb. 3 Grafische Darstellung der Anzahl von Publikationen/Jahr, die seit 1980 im Index Medicus online (MedLine) verschlagwortet und in PubMed zitierfähig sind, hier vereinfachend für die Suche nach „Diagnosis TMD“, da der Begriff „klinische Funktionsanalyse“ ein deutscher Begriff und kein suchfähiges Schlüsselwort (Medical Subject Heading, MeSH) ist.
Abb. 3 Grafische Darstellung der Anzahl von Publikationen/Jahr, die seit 1980 im Index Medicus online (MedLine) verschlagwortet und in PubMed zitierfähig sind, hier vereinfachend für die Suche nach „Diagnosis TMD“, da der Begriff „klinische Funktionsanalyse“ ein deutscher Begriff und kein suchfähiges Schlüsselwort (Medical Subject Heading, MeSH) ist.
Quelle: www.PubMed.gov

Die klinische Funktionsanalyse unterscheidet sich dabei grundlegend von der manuellen Strukturanalyse. Hierbei handelt es sich um ein neueres Untersuchungsverfahren, was auf der Grundlage von Untersuchungstechniken aus der manuellen Medizin entwickelt wurde. Kennzeichnend für die manuelle Strukturanalyse ist die Durchführung der verschiedenen Einzeluntersuchungen unter Belastung. Die DGFDT als zuständige Fachgesellschaft hat für die Inhalte der manuellen Strukturanalyse einen gesonderten Erhebungsbogen entwickelt und veröffentlicht. Allein hieraus wird klar, dass es sich hierbei um zwei völlig verschiedene Untersuchungen handelt. Die manuelle Strukturanalyse ist daher schon in der Vergangenheit Gegenstand eines gesonderten Beitrags gewesen9.

Ebenfalls von der klinischen Funktionsanalyse abzugrenzen sind Tests auf psychische Co-Faktoren. Im Rahmen der fachlichen Weiterentwicklung hat sich spätestens mit der Veröffentlichung der Research Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders (RDC/TMD, siehe oben) gezeigt, dass neben somatischen Befunden zusätzlich auch psychosomatische Befunde von Bedeutung sind. Die RDC/TMD unterteilen dafür die gesamte Untersuchung in zwei „Achsen“, die „Achse I“ und die „Achse II“:

  • Die „Achse I“ entspricht dabei der klinischen Funktionsanalyse im Sinne der GOZ 8000.
  • Die „Achse II“ bildet die systematische Erfassung mentaler bzw. psychischer oder biopsychosozialer Co-Faktoren ab. Die Erfassung der Inhalte erfolgt typischerweise mittels validierter Fragebögen; deren Auswertung bildet wiederum die Grundlage des darauf bezogenen auswertenden Gesprächs mit dem Patienten oder der Patientin. Erfolgen mehrere Tests mittels mehrerer Fragebögen erhöht dies den Aufwand und den zu wählenden Steigerungsfaktor der hierfür ausgewählten Analogposition entsprechend. Die Tests auf psychische Co-Faktoren sind daher schon in der Vergangenheit Gegenstand eines gesonderten Beitrags gewesen17.

In Ergänzung zur klinischen Funktionsanalyse können zudem zusätzlich Tests auf orthopädische Co-Faktoren sinnvoll und begründet sein. Derartige orthopädische Co-Faktoren ergeben sich durch die funktionellen Wechselbezüge zwischen dem craniomandibulären System (CMS) sowie dem Bereich der Halswirbelsäule und der Körperstatik. In der Literatur sind von unten nach oben „aufsteigende“ sowie in Gegenrichtung „absteigende“ Einflüsse beschrieben. Im Einzelfall ist dies schwer nachzuweisen; vielmehr kann oft nur die funktionelle Wechselbeziehung nachgewiesen werden.

Entsprechende diagnostische Tests zielen unter anderem darauf ab, zu prüfen, ob Verhärtungen der Muskulatur im craniomandibulären System in einem Zusammenhang mit Mobilitätseinschränkungen der Halswirbelsäule stehen könnten und ob Veränderungen der Körperstatik auf die Muskulatur im craniomandibulären System und damit auch auf die Kieferposition und damit die Okklusion wirken. Rechtlich ist die Untersuchung entsprechender Zusammenhänge, soweit sie in das craniomandibuläre System mit den Kiefern und speziell auf die Okklusion einwirken, eine originäre Aufgabe des Zahnarztes. Im Gegensatz dazu ist die orthopädische Untersuchung zur Aufklärung orthopädischer Fragestellungen den Fachärzten für Orthopädie oder Physiotherapeuten vorbehalten. Bei entsprechend auffälligen Befunden ist es daher üblich, eine konsiliarische Abklärung durch entsprechende Ärzte und/oder Physiotherapeuten zu initiieren beziehungsweise eine Abstimmung über die entsprechenden Befunde herbeizuführen. Auch die Tests auf orthopädische Co-Faktoren waren bereits Gegenstand eines früheren Artikels dieser Reihe18.

Ebenfalls von der klinischen Funktionsanalyse abzugrenzen ist das CMD-Screening (CMD-Kurzbefund nach Ahlers/Jakstat oder CMD-Screening der DGFDT19, siehe oben), weil es sich hierbei um eine in sich geschlossene Untersuchung mit gesonderter strukturierter Auswertung handelt. Sie dient der Überprüfung, ob begründete Anzeichen für das Vorliegen einer craniomandibulären Dysfunktion bestehen, was dann wiederum eine klinische Funktionsanalyse zur weiteren Diagnostik erfordert. Auch das CMD-Screening war daher schon Gegenstand eines früheren Beitrags dieser Reihe19.

Neben der klinischen Funktionsanalyse kann auch die Erhebung des Bruxismus-Screening-Index (BSI) begründet sein. Der Bruxismus-Screening-Index wurde von der DGFDT als zuständiger Fachgesellschaft entwickelt, um im klinischen Einzelfall zu prüfen, ob das Vorliegen von Bruxismus möglich bzw. wahrscheinlich ist. Der Bedarf hierfür ergibt sich aus der AWMF-Leitlinie 803-027 „Diagnostik und Behandlung des Bruxismus“, die 2019 von der DGFDT als federführender Fachgesellschaft unter Beteiligung zahlreicher anderer Fachgesellschaften veröffentlicht wurde. Hierin wird dargelegt, dass der Bruxismus mittlerweile als eigenständige Entität neben der craniomandibulären Dysfunktion einzustufen ist. Die Erfassung erfolgt mithin gesondert durch den Bruxismus-Screening-Index. Auch der BSI war daher bereits Gegenstand eines gesonderten Beitrags dieser Reihe20.

Eine weitere Leistung, die von der klinischen Funktionsanalyse abzugrenzen ist, ist das Zahnverschleiß-Screening. Hierbei handelt es sich um eine Untersuchung, die darauf abzielt, zu prüfen, ob Anhaltspunkte für einen erhöhten Verlust an Zahnhartsubstanzen vorliegen (Zahnverschleiß). Dies ist deswegen im Zusammenhang mit der klinischen Funktionsanalyse wichtig, weil ein erhöhter Zahnverschleiß zu funktionellen Folgen führen kann, und insofern im Kontext einer dysfunktionellen Problematik von Bedeutung sein kann.

Sofern das Zahnverschleiß-Screening Anhaltspunkte für einen generalisierten moderaten oder aber einen erheblichen Zahnverschleiß bietet, sollte ein Zahnverschleiß-Status erfolgen, um das Geschehen genauer zu erfassen und Rückschlüsse für die weitere Behandlung zu ziehen. Hierbei sind Wechselbezüge zur funktionellen Situation möglich und können das Geschehen sogar bestimmen. Auch das Zahnverschleiß-Screening sowie der Zahnverschleiß-Status standen daher bereits im Fokus eines gesonderten Beitrags dieser Reihe21.

Leistungsbewertung (500 Punkte)

Die Bewertung der klinischen Funktionsanalyse ist – selbst bei Ausschöpfung des 3,5-fachen Steigerungssatzes – tendenziell zu niedrig, insbesondere wenn man den erheblichen Zeitbedarf berücksichtigt, den die klinische Funktionsanalyse gerade bei Patienten mit komplexen craniomandibulären Dysfunktionen erfordert. Hinzu kommt, dass sich der inhaltliche Umfang der klinischen Funktionsanalyse seit Inkrafttreten der ersten Gebührenordnung 1988 durch die zusätzliche Stellung einer strukturierten Diagnose vergrößert hat, während die Bewertung seit 1988 unverändert geblieben ist.

Abweichend von komplexen Fällen kann der Untersuchungsaufwand „normal“ sein, wenn beispielsweise Nachsorgebefunde in Kontrollsitzungen mit normalem Aufwand abgearbeitet werden.

Ein normaler Untersuchungsaufwand ist auch in jenen Fällen zu erwarten, bei denen beispielsweise nach Abschluss einer restaurativen Behandlung der Befund dazu dient, zu prüfen, ob die Therapieziele erreicht wurden und sich dabei herausstellt, dass tatsächlich keine auffälligen Befunde mehr bestehen.

Ein Beitrag von Dr. Dr. Alexander Raff, Stuttgart

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Zeitschrift für Kraniomandibuläre Funktion 4/20 Funktionsdiagnostik & -therapie Abrechnung

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